Auf die deutschen Lebensversicherer kommen neue Lasten in Milliardenhöhe zu. Aufseher rechnen gar damit, dass einige Anbieter aufgeben müssen. Dann droht der Weiterverkauf der Policen an Investoren.
Die Finanzaufsicht BaFin will sich offenbar nicht vorwerfen lassen, die Situation der Lebensversicherer in irgendeiner Form beschönigt zu haben. Mit selten gehörter Offenheit sprach der Chef der Versicherungsaufsicht Felix Hufeld nun davon, dass nicht jedes Haus die Kombination aus niedrigen Zinsen und härterer Regulierung meistern wird.
„Marktaustritte müssen möglich sein – auch bei den Lebensversicherern“, sagte er der „Börsen-Zeitung“. Die Aufgabe der BaFin sei es nicht, dies zu verhindern, sondern sicherzustellen, dass „das im Falle eines Falles insbesondere für die betroffenen Versicherungsnehmer möglichst schonend ablaufe“.
Auch zu den Garantieversprechen der Versicherer fand Hufeld klare Worte: Im Fall eines Falles, wenn also eine Gesellschaft kurz vor der Insolvenz steht, sind Senkungen möglich. So sehe es Paragraf 89 des Versicherungsaufsichtsgesetzes vor.
Allerdings will Hufeld dies nicht als Notausstieg für die Branche verstanden wissen, um sich von hochverzinsten Verträgen zu trennen. Der Paragraf könne keine „Generalklausel für die ganze Branche sein“, sagte er.
Versicherer proben den Spagat
Das ist eine gute Nachricht für all jene Kunden, die noch einen Vertrag mit Garantien von 3,5 Prozent oder sogar vier Prozent haben, wie bis zum Jahr 2000 üblich. Sie müssen in absehbarer Zeit keine pauschalen Kürzung fürchten.
Die BaFin ruft damit alle Lebensversicherer erneut auf, andere Möglichkeiten zu suchen, um zumindest bei neuen Verträgen von den hohen Zinsversprechen weg zu kommen. Einen Weg hatte BaFin-Chefin Elke König bereits vergangenen Monat aufgezeigt: „Die Versicherer müssen differenziertere Angebote entwickeln und das Produkt Lebensversicherung in Teilen neu erfinden“, sagte sie.
Die Frage, die alle Versicherer umtreibt, schob sie gleich hinterher: Wie gelingt der Branche der Spagat zwischen klassischen Garantieprodukten und rein fondsgebundenen Produkten, bei denen der Kunde zumindest theoretisch einen Totalverlust erleiden kann?
Kunden sollen Risiko selbst tragen
Klassische Rentenversicherungen mit garantierten Zins von lediglich noch 1,75 Prozent – der zu Beginn des kommenden Jahres wohl weiter auf 1,25 Prozent fallen wird – lassen sich ohnehin kaum noch verkaufen. Die Überlegung vieler Anbieter: Statt eine Mindestrendite zu garantieren, sollen Kunden stärker selbst das Anlagerisiko tragen. Ein Vehikel dazu heißt: Fondspolice.
Der Vorteil solcher Policen aus Sicht eines Versicherers ist klar: Wenn er weniger Risiko tragen muss, dann muss er auch weniger Eigenmittel bereithalten, um dieses Risiko abzusichern. Dieser Zusammenhang gewinnt in der neuen Regulierungswelt, auch als Solvency II bekannt, eine noch wichtigere Rolle.
Angesichts hoher Versprechen aus der Vergangenheit rechnet die BaFin allein in den kommenden zwei Jahren ohnehin schon mit weiteren Milliardenlasten für die Branche. Der Bedarf an zusätzlichen Eigenmitteln könne einen „zweistelligen Milliardenbetrag“ erreichen, sagte Hufeld.
Nach der für den 1. Januar 2016 geplanten Einführung des Regelwerks müssten Versicherer ihre Kapitaldecke jedes Jahr um weitere drei bis fünf Milliarden Euro aufstocken.
Einige Unternehmen werden aussteigen
Das macht das Geschäft schon heute für einige unattraktiv. So wird damit gerechnet, dass in den kommenden Jahren einige Versicherer aus dem Lebensversicherungsgeschäft aussteigen, weil es sich nicht mehr rechnet. Es gibt bereits Investoren, die solche Portfolien kaufen.
Dazu gehört auch Rückversicherer Hannover Rück, der zusammen mit Finanzinvestor Cinven den Versicherer Heidelberger Leben übernehmen will. Für Kunden muss eine solche Marktbereinigung nicht von Nachteil sein. Ihre Policen laufen weiter – womöglich sogar günstiger als bislang.
Denn je mehr Policen ein Versicherer hat, auf desto mehr Kunden verteilen sich die Kosten für die Verwaltung. BaFin-Experte Hufeld zeigt sich allerdings skeptisch, ob ein solcher Markt für Lebensversicherungs-Portfolien in Deutschland tatsächlich in Gang kommt: „Wenn nur einige wenige Bestände auf den Markt kommen, dürfte das für Investoren weniger attraktiv sein.“
Mehr fondsgebundene Produkte
Im Neugeschäft gibt es bereits Bewegung. Viele große Anbieter wollen den Anteil fondsgebundener Produkte deutlich nach oben schrauben. Die Zurich bietet fast ausschließlich fondsgebundene Verträge an, das gleiche gilt auch für Gothaer und Aachen Münchener.
Die Münchener-Rück-Tochter Ergo kam im Vorjahr mit einem neuen Angebot auf den Markt, das ebenfalls auf einer Fondspolice beruht. Mittlerweile mache dies „mehr als die Hälfte“ der Neuabschlüsse aus, sagte Ergo-Chef Torsten Oletzky in der Vorwoche.
Bei fondsgebundenen Konstruktionen landet ein Großteil der Beiträge des Altersvorsorgesparers in der Regel nicht im großen Topf des Versichertenkollektivs, sondern in verschiedenen Fonds, die der Kunde selbst auswählen kann.
Zwitterprodukte mit Garantie
Den höheren Renditechancen steht ein höheres Risiko gegenüber: Fallen die Kurse an den Börsen, schrumpft das eingesetzte Kapital. Um diese Sorge aufzufangen, haben viele Gesellschaften Zwitterprodukte mit Garantie entwickelt.
Das Geld fließt in Fonds, aber zusätzlich kann der Kunden davon ausgehen, dass er am Ende zumindest seine Beiträge herausbekommt. Dass solche Garantien etwas kosten – und wenn es entgangene Renditen sind – ist diesen oft nicht klar.
Aus Kundensicht gibt es weitere Vorbehalte gegenüber klassischen Fondspolicen. „Der Kunde wird häufig alleine gelassen“, sagt Reiner Will, Geschäftsführer der Rating-Agentur Assekurata. Schließlich bleibt dem Policenkäufer die Fondsauswahl selbst überlassen.
Bei der Zurich-Versicherung kann der Kunde für die „individuelle Fondsanlage“, wie es heißt, zwischen 16 Aktienfonds der Deutsche-Bank-Tochter DWS wählen. Der Versicherungsvermittler berät den Kunden beim Kauf, aber er betreut ihn selten im weiteren Verlauf, wenn sich die Situation an den Kapitalmärkten vielleicht ändert, lautet Wills Kritik.
„Viele Kunden wissen doch gar nicht, welche Fonds sie in ihren Policen haben“, sagt er. Die neue, auch von der BaFin geforderte Produktwelt der Lebensversicherer wird für Kunden nicht unbedingt schöner.
Quelle: http://www.welt.de/finanzen/altersvorsorge/article124604375/Den-Lebensversicherungen-droht-der-Ausverkauf.html