»Wege zum inneren Frieden«

Wenn wir es in unserem Leben schaffen, echtes Glück für uns selbst zu erlangen und gleichzeitig anderen zu helfen, dass auch sie Glück erlangen, können wir wirklich sagen, dass unser Menschenleben einen Sinn hat. Dann haben wir die Essenz unseres Lebens ergriffen und verwirklicht.

Wenn wir dagegen weder für uns selbst noch für andere Glück erreichen, wenn unser Leben nur geprägt ist von Leiden, wenn wir nicht die echten Mittel anwenden, die zu dauerhaftem Glück für uns selbst und für die Gesellschaft führen, haben wir den eigentlichen Sinn unseres kostbaren Menschenlebens verfehlt.

Der Weg des Buddha bestand darin, die Mittel, die er selbst gefunden hatte, um echtes Glück zu erlangen, an andere weiterzugeben. Die wesentliche Methode, um Glück zu erreichen und Leiden zu vermeiden, ist die Entwicklung von geistigen Tugenden und die Überwindung der negativen Eigenschaften, verbunden mit einem entsprechenden äußeren Verhalten, das einem geschulten Geist entspringt. So hat er zusammenfassend gesagt: „Unterlasse jegliches unheilsame Handeln, und übe dich darin, Heilsames zu tun. Diszipliniere deinen eigenen Geist. Das ist die Lehre der Erwachten.“ Verlässliches Glück entsteht nicht, indem wir nur oberflächliche Umstände für Glück schaffen. Wir müssen nach den tieferen Ursachen für Glück suchen und die eigentlichen Ursachen für Leiden aufgeben. Wie der Buddha deutlich gemacht hat, sind Erfahrungen von Glück und Leid die Früchte unserer früheren Handlungen. Durch unsere Handlungen von Körper, Rede und Geist hinterlassen wir Anlagen in unserem Bewusstsein, die die Samen für späteres Glück und Leid bilden. Unsere eigenen Handlungen wiederum gehen von unserem Geist aus. Wenn der eigene Geist diszipliniert ist, begehen wir Handlungen, die angemessen und heilsam sind und als Resultat Glück hervorbringen.

Wenn unser eigener Geist undiszipliniert und von negativen Eigenschaften geprägt ist, resultieren daraus zwangsläufig negative Handlungen, die uns selbst in der Zukunft Leiden verursachen. Das Glück, das wir jetzt erleben, ist ein Resultat von heilsamem Denken und heilsamen Handlungen in der Vergangenheit. Das Leiden, das wir jetzt erfahren, ist ein Resultat von negativen Handlungen und falschem Denken in der Vergangenheit. Diese Zusammenhänge hat der Buddha immer wieder herausgestellt.

Ein grundlegendes Problem in unserem Leben ist, dass wir zu hohe Erwartungen in Bezug auf die verkehrten Dinge haben. Diese falschen Erwartungen werden meistens nicht erfüllt, wir erreichen unsere Ziele nicht, und dies führt zu Enttäuschungen, Frustrationen und Ängsten. Dies erleben wir alle – ob wir Religion praktizieren oder nicht. Tag für Tag sind wir einer endlosen Kette von Schwierigkeiten und Misserfolgen ausgesetzt. Diese Situation im Blick, hat der Buddha gesagt, dass es wichtig ist, innere Zufriedenheit und Genügsamkeit zu entwickeln, wenn wir ein angenehmes Leben zu führen wünschen. Wie auch der indische Meister Nāgārjuna gesagt hat, ist Genügsamkeit der eigentliche Reichtum. Wer genügsam ist, ist immer reich und fühlt sich nicht benachteiligt. Wenn es jemandem jedoch an dieser inneren Genügsamkeit und Zufriedenheit mangelt, mag er noch so viel Reichtum oder Macht besitzen, er wird nicht zufrieden sein. Eine solche Person meint immer, es fehle ihr noch etwas, und selbst wenn sie die ganze Welt besäße, so würde dennoch ein inneres Gefühl der Leere zurückbleiben. Natürlich benötigen wir die zum Leben notwendigen Dinge wie Behausung, Nahrung, Kleidung usw., und unser Ziel sollte sein, dass alle Menschen auf dieser Erde diese Dinge zur Verfügung haben. Wir sollten uns gleichwohl vor Augen führen, dass wir allein durch äußere Reichtümer niemals innere Ruhe und Ausgeglichenheit finden können.

Ein weiterer bedeutender Punkt ist, dass wir uns die leidhafte und vergängliche Natur unseres Lebens vergegenwärtigen. Es geschieht sehr häufig, dass wir plötzlich mit einer ungeliebten Lage konfrontiert werden und Leiden erfahren. Unser Fehler liegt darin, dass wir eine momentane Situation für beständig halten. Wenn wir ein bestimmtes Maß an Wohlergehen erreicht haben, gehen wir davon aus, dass es so bleibt, und machen uns nicht bewusst, dass unser Leben eine vergängliche Natur hat und die Verhältnisse sich ständig ändern. Betrachten wir es realistisch, sollten wir erkennen: Sobald wir in dieses Leben geboren werden, ist die Möglichkeit, auf Leiden und Schwierigkeiten zu treffen, immer gegeben. Als Menschen erfahren wir unausweichlich die Leiden von Geburt, Altern, Krankheit und Tod. Weil uns diese Tatsache nicht bewusst ist, werden wir oft mit Situationen konfrontiert, die wir nicht erwartet haben und deshalb nicht ertragen können. Als Gegenmittel dazu sollten wir uns bewusst machen, dass unser Leben vergänglich ist, dass die Situationen im Leben sich ständig verändern und dass wir eine Vielzahl von Leidensursachen angesammelt haben. Wenn wir uns der Leidhaftigkeit und Vergänglichkeit unserer Existenz bewusst werden, können wir die vielen kleineren Schwierigkeiten, die auf uns zukommen, viel besser ertragen.

Oft verfolgen wir zu ehrgeizige Ziele. Sicher ist es gut, hohe Ziele zu haben und zu versuchen, diese auch zu erreichen. Aber gleichzeitig sollten wir uns im Klaren sein, dass nicht die Gewähr besteht, diese Ziele auch wirklich erreichen zu können. Sehr häufig haben wir mit Misserfolgen zu kämpfen und treffen auf Hindernisse. Dazu kommt, dass wir uns nicht selten ein falsches Bild von der Situation machen. Dies mag daher rühren, dass uns in den Medien, z.B. in der Werbung, die Welt wie eine Art Paradies dargestellt wird. In Zeitschriften, Fernsehsendungen usw. wird uns vorgegaukelt, die Welt wäre bereits in einem vollkommenen Zustand, und wir verwechseln diese Bilder mit der eigentlichen Realität. Die Wirklichkeit ist jedoch ganz anders. Es hängt von sehr vielen Faktoren – äußeren wie inneren – ab, ob wir das erreichen, was wir anstreben, so z.B. von unserem Karma, unseren früheren Handlungen. Deshalb sollten wir uns eigentlich freuen, wenn wir ein Ziel zu etwa 70 Prozent oder mehr zu erreichen vermögen. In diesem Fall können wir davon sprechen, dass wir einen Erfolg hatten. Wenn wir allerdings der Auffassung sind, wir könnten alles, was wir erstreben, immer hundertprozentig erreichen, werden wir zwangsläufig enttäuscht und immer wieder frustriert sein.

Hass und Ärger sind Faktoren, die uns große Schwierigkeiten bereiten und unseren inneren Frieden empfindlich stören. Diese Geistesfaktoren haben in der Tat nur Nachteile; das wissen wir aus eigener Erfahrung. Wenn wir wütend sind, fühlen wir uns überhaupt nicht mehr wohl. Innere Ruhe, Ausgeglichenheit und Fröhlichkeit schwinden dahin. Dies schlägt sich sogar körperlich nieder, denn Wut kann Krankheiten auslösen. Überdies zerstört die Wut viele heilsame Anlagen in unserem eigenen Geist und ist deshalb sehr destruktiv. Auch wirkt sie sich in unserer unmittelbaren Umgebung negativ aus, denn sie schafft eine schlechte Atmosphäre. Niemand möchte gerne mit uns zusammen sein, wenn wir wütend sind. Deshalb müssen wir unbedingt Mittel anwenden, um Wut und Hass zu überwinden. Ich will damit nicht sagen, dass die Wut leicht einzudämmen sei und dass man diese Faktoren einfach außer Kraft setzen könnte. Es ist sehr schwierig, Wut zu entschärfen, und es misslingt auch häufig. Aber es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als Mittel gegen Wut und Hass anzuwenden, wenn wir unser Leben in mehr Ausgeglichenheit und Freude führen wollen.

Wir sollten uns klar vor Augen führen, dass wir Wut nicht mit Wut überwinden können. Wir treffen in unserem Leben oft auf widrige Umstände. Manchmal sind es andere Menschen, die uns das Leben schwer machen, die wütend auf uns werden, uns Schaden zufügen und böse Worte an den Kopf werfen. Üblicherweise reagieren wir darauf mit Wut, und so versuchen wir, die Wut des anderen mit unserer eigenen Wut auszulöschen. Das kann natürlich nicht gelingen, darauf hat auch der Buddha immer wieder hingewiesen. Was den Buddha selbst angeht, so heißt es in den Schriften, dass er kurz vor seiner Erleuchtung großen Angriffen ausgesetzt war – negativen Kräften, aber auch Angriffen anderer Wesen, die ihm schaden und das Erlangen seiner Erleuchtung verhindern wollten. Es heißt, dass diese negativen Kräfte ihn in Form von furchterregenden Waffen bedrohten. Der Buddha reagierte auf die feindlichen Kräfte jedoch nicht mit Wut oder Ärger, sondern trat ein in die tiefe Meditation der liebevollen Zuneigung. Durch die Kraft seiner liebevollen Zuneigung segnete er seine Umgebung und wandelte die Waffen in Blumen um.

Feindliche Situationen können wir nur dann dauerhaft überwinden, wenn wir ihnen die Kraft der Zuneigung, der Geduld, des Verständnisses und der Toleranz entgegensetzen. Selbst wenn wir durch Ärger und Zorn einen Widersacher kurzfristig fernhalten oder überwinden könnten, so würde doch auf diese Weise der Konflikt überhaupt nicht gelöst. Im Gegenteil, Ärger und Wut verschärfen die Feindseligkeit. Eine echte Lösung von Konflikten können wir nur erreichen, wenn wir mit Verständnis, Liebe und Toleranz auf eine angespannte Situation reagieren.

Im Kontakt mit anderen Menschen – am Arbeitsplatz oder in der Familie – geschieht es häufig, dass jemand auf uns wütend wird, ein falsches Wort sagt oder einen Streit vom Zaun bricht. Gewohnheitsmäßig neigen wir sehr schnell dazu, wiederum mit Ärger zu reagieren. In diesem Fall sollten wir die Situation etwas genauer untersuchen und uns fragen, ob es wirklich angemessen ist, ärgerlich zu reagieren. Wir können davon ausgehen, dass niemand Streit möchte. Niemand hat von Natur her ein Interesse, eine konfliktgeladene Atmosphäre zu schaffen. Trotzdem kommt es vor, dass andere uns gegenüber falsch handeln. Alle Menschen haben die Anlagen für Ärger in sich und falsches Handeln noch nicht aufgegeben. Aufgrund dieser Potentiale, die in uns selbst ebenso vorhanden sind wie in den anderen, entstehen oftmals widrige Umstände. Diese negativen Umstände führen dazu, dass bei anderen Ärger ausbricht und etwas Falsches gesagt wird. In Wirklichkeit handelt die andere Person jedoch gar nicht aus freiem Willen, sondern unter dem Einfuß innerer negativer Kräfte und der gegenwärtigen widrigen Umstände. Der so genannte Schädiger hat völlig die Kontrolle über sich verloren und fügt uns in diesem Zustand Leiden zu. Wir sollten diese Situation durchschauen und mit Verständnis reagieren. In Wirklichkeit ist der andere eher ein Objekt des Mitgefühls als ein Objekt von Ärger und Wut.

Wenn irgendetwas falsch gemacht wird, wenn uns selbst eine Ungerechtigkeit, ein Schaden widerfährt, so müssen wir nicht alles akzeptieren und jeden Verlust demütig hinnehmen. Das wäre eine falsch verstandene Geduld. Geduld bedeutet, dass man in einer schwierigen Situation nicht mit Ärger und Feindseligkeit reagiert, sondern seinen Ärger beiseite lässt und versucht, die Situation mit einem ruhigen Geist zu beurteilen; dies wird auch gelingen. Wenn eine Person wütend auf uns ist, sollten wir erst einmal abwarten, bis sich die Wut bei ihr gelegt hat, statt zornig zu reagieren. Ist der andere wieder zur Vernunft gekommen, besteht für uns die Gelegenheit, mit ihm über das Problem zu sprechen oder auf Fehler hinzuweisen. Wenn wir Wut und Ärger wiederum nur mit Wut und Ärger beantworten, ist es unmöglich, einen Fortschritt zu erzielen, um das eigentliche Problem zu lösen.

Unsere übliche Reaktion auf eine schwierige Situation ist, den Fehler außerhalb von uns selbst zu suchen. Wenn der andere wütend auf uns ist oder einen Fehler macht, denken wir, dass wir ihn irgendwie zähmen und unter unsere Kontrolle bringen müssten. Bei der Übung von Geduld geht es darum, dass wir nicht versuchen, den anderen mit Wut und Zorn zu besiegen, sondern dass wir die Hauptaufmerksamkeit auf unseren eigenen Geist lenken. Die Schulung von Geduld ist das Bemühen, im eigenen Geist keine Gefühle von Hass und Wut aufkommen zu lassen. Wir versuchen also, nicht in unsere üblichen Reaktionen zu verfallen und nur immer die äußeren Umstände und Widersacher zu bekämpfen, sondern wir bemühen uns, unseren eigenen Geist unter Kontrolle zu bringen und einen ausgeglichenen inneren Zustand beizubehalten.

Oft handeln und reagieren wir sehr falsch, und andere tun das gleiche. Die zahllosen Probleme, die in unserem Leben im Kontakt mit anderen Menschen entstehen, basieren zum großen Teil auf Missverständnissen, auf Unkenntnis unserer eigenen Situation und der Situation der anderen. Woran liegt das? Es liegt daran, dass wir sehr egozentrisch denken, dass wir in unseren Gedanken sehr auf unser eigenes Ich, auf uns selbst fixiert sind. Unsere Gedanken kreisen darum, wie wir unseren eigenen Vorteil erreichen und uns selbst Schwierigkeiten vom Halse halten können.

Weiterhin hat unser egozentrisches Denken zur Folge, dass wir auch die anderen Menschen nicht richtig beurteilen, ihre Empfindungen und Gedanken nicht kennen und nicht genügend berücksichtigen. Aus diesem mangelnden Verständnis unserer eigenen Lage und der Situation der anderen kommt es dann zu falschen Reaktionen, Fehleinschätzungen, Wut, Ärger und vielen anderen negativen Verhaltensweisen.

In unseren Gedanken sind wir meist so sehr mit uns selbst und mit unseren eigenen Zielen beschäftigt, dass es uns schwer fällt, die Situation eines anderen zu beurteilen und uns in die Lage des anderen hineinzuversetzen. Das sollten wir jedoch des Öfteren versuchen. Wir müssen uns bemühen, unsere eigenen egoistischen Interessen außer Acht zu lassen und zu fragen, wie es dem anderen geht, unter welchen Bedingungen er lebt und was er empfindet. Wir sollten den anderen mit seinen eigenen Augen sehen und die Situation aus seiner Perspektive beurteilen. So würden wir uns viele Konflikte und falsche Reaktionen ersparen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es nicht geht, die eigenen Interessen immer an die erste Stelle zu setzen. Der andere möchte genauso seine Interessen verwirklichen, und wenn jeder nur an sich selbst und an seinen eigenen Vorteil denkt, muss es zwangsläufig zu Konflikten kommen. Deshalb sollten wir versuchen, auch die Interessen des anderen zu berücksichtigen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen unseren eigenen und den Interessen der anderen zu finden. Auf diese Weise wird es uns gelingen, wirklich eine harmonische Atmosphäre zu schaffen und Glück und Wohlergehen zu erreichen.

Diese Punkte sind nicht einfach zu praktizieren, und es wird uns auch nicht immer gelingen, sie anzuwenden. Wenn wir jedoch echte innere Ausgeglichenheit und Fröhlichkeit suchen, bleibt uns nichts anderes übrig, als an uns zu arbeiten. Wir müssen diese Dinge in unserem Leben ernster nehmen und die Kraft dieser positiven Einstellung allmählich stärken. Wenn es uns nicht möglich ist, dem anderen zu helfen und etwas Nützliches für den anderen zu tun, so sollten wir dem anderen wenigstens nicht schaden. Diese Schulung schließt auch ein, dass wir nicht nachtragend sind. Wenn wir etwas nachtragen, d.h. schlechte Gedanken im Geist hegen und denken: „Diese Person hat mir etwas angetan, und ich kann das nicht vergessen,“ können wir keinen inneren Frieden finden und fühlen uns nicht wohl. Stattdessen sollten wir denken: „Was vorbei ist, ist vorbei“. Niemand kann die Situation ungeschehen oder rückgängig machen. Statt immer nur Feindseligkeiten in sich zu schüren, wäre es auf Dauer viel besser, an die Zukunft zu denken und uns zu fragen, wie wir die Zukunft besser gestalten können. Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern.

Der indische Meister Shāntideva hat in seiner Schrift „Eintritt in das Leben zur Erleuchtung“ gesagt, dass es keine Askese gibt, die so wertvoll ist wie die Geduld. Er hat einen Vergleich gegeben: Auf dem Erdboden gibt es überall Steine und Dornen. Wenn ein Mensch mit nackten Füßen über die Erde geht, wird er sich überall verletzen. Nun könnte er auf die Idee kommen, als Gegenmaßnahme die ganze Erde mit weichem Leder zu überziehen. Das wäre jedoch völlig abwegig und unmöglich. Wenn er hingegen seine Füße mit Leder schützt, kann er überall hingehen, ohne verletzt zu werden. Der Effekt ist für ihn der gleiche: Es ist so, als wäre die ganze Welt mit weichem Leder überzogen. Genauso ist es mit der Geduld.

Eine Person, die wirklich Geduld entwickelt hat, hat ihr eigenes Denken und Handeln völlig unter Kontrolle und kann in jeder Situation ruhig und gelassen sein. Selbst wenn die ganze Welt voller negativer Umstände ist, können sie ihre innere Ruhe nicht stören. Dann ist es wirklich so, als hätte man die ganze Welt befriedet. Wenn man sich dagegen immer nur abmüht, die äußeren Verhältnisse zu ändern und nicht die inneren Bedingungen, so kann man nicht wirklich echten Frieden und echte Ruhe für sich erreichen. Wenn man auf diese Weise selbst innere Ruhe entwickelt und nicht ständig Ärger in sich entfacht, fehlt auch den anderen das Objekt ihres Ärgers, und auch sie werden sich wandeln und Ärger und falsches Handeln abbauen. So schaffen wir durch die eigene Geduld sowohl in uns selbst als auch außerhalb von uns eine viel friedlichere und viel gesündere Atmosphäre.

Der Buddha hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Hass und Wut eine sehr zerstörerische Kraft haben. Ein Mensch mag sich bemühen, Heilsames zu tun, religiöse Übungen durchzuführen und somit viele heilsame Potentiale und gute Eindrücke in seinem Geist zu hinterlegen. Wenn er auf der anderen Seite immer wieder ärgerlich und wütend wird, macht er dieses heilsame Potential in sich wieder zunichte. Zudem sammelt er durch die Wut viel neues negatives Potential an, das ihm selbst in der Zukunft Leiden bringen wird. Will man also verlässliches Glück erreichen, muss man die negativen Faktoren wie Hass und Wut überwinden und dagegen Tugenden wie Geduld, Toleranz und Mitgefühl weiterentwickeln. Wenn wir weitere Ziele auf einem geistigen Weg bis hin zur Erleuchtung anstreben, ist diese Fähigkeit der Geduld unbedingt nötig.

Wann können wir überhaupt Geduld entwickeln? Dies ist nicht möglich, wenn die Umstände perfekt und leicht zu handhaben sind, wenn alles gut gelingt und niemand da ist, der uns ärgert. Wie könnten wir in solch angenehmen Situationen Geduld entwickeln? Geduld können wir nur in schwierigen Situationen schulen, z.B. wenn jemand uns gegenüber ärgerlich wird. Dies ist die eigentliche Gelegenheit, bei der wir diese Kraft des Ertragens stärken können. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist eine Person, die uns ärgert, wirklich unser bester Freund, eine Art Lehrer, der uns beibringt, wie wir Geduld üben können. Der Schädiger bietet somit einen wichtigen Umstand dafür, dass wir Fortschritte auf dem Weg zur Erleuchtung machen. Von diesem Gesichtspunkt aus können wir Widersachern und Feinden sogar noch dankbar sein, da sie uns die Gelegenheit zur Schulung der Geduld bieten.

Wir sehen also, dass unsere Situation zum großen Teil von unserer eigenen Einstellung abhängig ist. Ob jemand Feind oder Freund ist, hängt im Wesentlichen von unserer eigenen Beurteilung ab. Wir halten die Dinge oft für absolut. Wir denken, eine Person ist absolut unser Feind oder absolut unser Freund, und entsprechend dieser starren Haltung entsteht in Bezug auf den einen Haß, Ärger und Feindseligkeit und in Bezug auf den anderen Anhaftung, Begierde und Verlangen. In Wirklichkeit ist es sehr relativ, ob jemand Feind oder Freund ist. So mag eine andere Person denjenigen, den wir für einen Feind halten, einen Freund nennen usw.

Der Buddha hat sehr viele verschiedene Methoden zur Überwindung all der leidverursachenden Eigenschaften wie Haß und Begierde gelehrt. Was den Hass betrifft, ist es nicht richtig, ihn zu unterdrücken oder zu verdrängen. Vielmehr sollte man sich des eigenen Ärgers bewusst sein und ihn zulassen, wenn er aufsteigt. Dann sollte man darüber nachdenken und sich fragen, wodurch dieser Ärger entstanden ist und ob er angemessen ist. Auch kann man im Moment des Ärgers Wunschgebete machen wie: „Mögen dadurch, dass ich selbst jetzt diesen negativen Zustand von Ärger in mir erlebe, alle Wesen von Ärger befreit sein, möge dadurch aller Ärger zu Ende gehen.“ Man kann ruhig einige Minuten darauf verweilen, den Ärger aufkommen zu lassen, um mit den korrekten Begründungen diese negative Geisteshaltung zu überwinden.

Die Kraft, mit der wir unseren Haß dauerhaft überwinden können, ist liebevolle Zuneigung. Liebevolle Zuneigung ist eine sehr positive Eigenschaft, die den Geist beruhigt und für heilsames Potential im Geist sorgt. Wie können wir liebevolle Zuneigung entwickeln, wie können wir sie in uns stärken? Einerseits können wir Begründungen heranziehen. Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, daß alle Wesen Glück wünschen und keinerlei Leid. Wir wissen das aus unserer eigenen Erfahrung nur zu gut und können es leicht auf die anderen übertragen. Deshalb steht es im Einklang mit der Wirklichkeit, allen Wesen zu wünschen, dass sie Glück erfahren und von Leid frei sein mögen. Mit diesen Gedanken sollten wir den Wunsch stärken, daß andere Glück erfahren und die Ursachen für Glück finden mögen.

In einem Meditationstext zur Schulung von liebevoller Zuneigung heißt es, wir sollten den Wesen gegenüber eine Geisteshaltung entwickeln, wie sie uns entsteht, wenn wir z.B. ein kleines Kind sehen. Der Anblick eines kleinen Kindes bewirkt in uns automatisch eine Haltung der Zuneigung und ein Gefühl der Nähe. Wir möchten das Kind spontan in den Arm nehmen und streicheln. Eine solche Haltung der Zuneigung sollten wir bewusst in uns hervorrufen und dann versuchen, sie auf möglichst viele andere Lebewesen auszudehnen. Es ist sinnvoll, zuerst liebevolle Zuneigung im Bezug auf einen einzigen Menschen zu erzeugen und zu stärken. Dabei denken wir an einen Menschen, dem wir sehr viel zu verdanken haben und zu dem wir spontan Nähe empfinden. Es mag ein Lehrer sein, Vater, Mutter, Bruder, Schwester oder ein anderer Mensch, der uns geholfen hat. Wir machen uns bewusst, welche Freundlichkeit und Güte wir von diesem Menschen erfahren haben und entwickeln ein Gefühl der Zuneigung ihm gegenüber. Dieses Gefühl der echten Zuneigung in Bezug auf einen Menschen sollten wir dann erst einmal stabilisieren und vielleicht eine Woche lang so meditieren.

Im nächsten Schritt kann man dazu übergehen, die liebevolle Zuneigung auf andere auszuweiten – in der Erkenntnis, daß andere Lebewesen genauso nach Glück streben und Leid verhindern möchten wie dieser eine Mensch. An dieser Stelle können wir uns vor Augen führen, daß wir in der Vergangenheit, in Zeiten, an die wir uns nicht erinnern können, Liebe und Freundlichkeit auch von diesen Wesen empfangen haben. Zu allen Wesen besteht ein enges Verhältnis. So dehnt man den Wunsch, daß die anderen Glück erfahren und von Leiden frei sein mögen, auf immer mehr Wesen in allen Himmelsrichtungen aus und stabilisiert dieses Gefühl wiederum; so sollte man in seiner Meditation möglichst alle Wesen einschließen.

Wir sollten auch die Vorstellung entwickeln, daß durch unsere eigene Ausstrahlung von liebevoller Zuneigung überall die negativen Geisteszustände wie Hass und Begierde befriedet werden. In den buddhistischen Schriften wird berichtet, daß wenn Menschen echte liebevolle Zuneigung zu anderen Wesen üben, diese positive Energie tatsächlich ausstrahlt und dadurch Harmonie unter den Menschen in dieser Umgebung entstehen kann. Somit hat die Entwicklung dieser inneren positiven Eigenschaften auch eine konkrete positive Auswirkung auf die Gesellschaft.

Diese jetzt erklärten Mittel der Geistesschulung, die dazu dienen, inneren Frieden und inneres Glück zu erlangen, wirken natürlich nur dann, wenn wir sie im täglichen Leben auch anwenden. Wenn wir die Erklärungen nur an uns vorbeirauschen lassen und lediglich als eine Information betrachten, ohne die Mittel wirklich anzuwenden, können wir natürlich nicht erwarten, daß sich etwas verändert und sich positive Wirkungen einstellen. Wir müssen versuchen, diese Dinge in unserem täglichen Leben zu praktizieren. Das heißt nicht, daß wir die positiven Eigenschaften in einem Moment vollkommen entwickeln oder anwenden könnten – das ist unmöglich. Wir müssen uns schrittweise und unseren Fähigkeiten entsprechend ernsthaft mit diesen Tugenden vertraut machen und sie uns allmählich angewöhnen. Wir müssen sie meditieren. Meditation bedeutet, daß man sich etwas Positives, etwas Heilsames angewöhnt und sich zu eigen macht. Das ist die eigentliche Bedeutung von Meditation. Außerhalb dieses Gewöhnungsprozesses gibt es keine Meditation.

Prinzip-Buddha-19052016

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