Wer kennt ihn nicht: Den Wunsch nach einem stabilen Wert, nach einer Anlageform, die ihren Wert über die Zeit bewahrt? Ein Wert, der nicht vom Auf und Ab der täglichen, minütlichen, oder gar sekündlichen Wertfeststellung auf den Finanzmärkten abhängt. Ein Wert, auf den man sich verlassen kann, der überdauert…
Doch eben dieser Wunsch, so menschlich und verständlich er auch sein mag, ist nicht erfüllbar, er ist unerreichbar. Nicht einmal durch das Halten von Gold lässt er sich erfüllen.
Es gibt nämlich schlichtweg keinen unveränderlichen Wert. Diese Erkenntnis erschließt sich, wenn man sich zwei Aspekte vor Augen führt, die untrennbar mit dem menschlichen Daseins verbunden sind: (1) Der Mensch handelt, und zwar fortwährend, ein “Nicht-Handeln” ist für ihn (denk-)unmöglich; und (2) der Wert ist immer und überall subjektiv, d. h. der Wert wird immer und überall individuell bestimmt, er entsteht gewissermaßen im “Auge des Beschauers”. Diese (zugegebenermaßen philosophisch anmutenden, jedoch unverzichtbaren) Überlegungen sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
Menschliches Handeln bedeutet, ganz allgemein gesprochen, das Ersetzen eines Zustandes durch einen anderen Zustand; es bedeutet, das eine zu tun und das andere zu lassen. Menschliches Handeln ist also ständiges (Aus-)Wählen zwischen Alternativen. Die Aussage, dass der Mensch handelt, ist dabei eine logische Erkenntnis, die sich nicht widerlegen lässt: Man kann nicht argumentieren, dass der Mensch nicht handelt. Denn würde man verneinen, dass der Mensch handelt, so wäre das ja bereits ein Akt des menschlichen Handelns – und man hätte sich selbst widersprochen. Die Erkenntnis, dass der Mensch immer und überall handelt – ob er nun handelt, indem er etwas tut, oder ob er handelt, indem er sich entscheidet, etwas nicht zu tun -, ist nicht nur unumstößlich wahr, sondern sie hat auch weitreichende praktische Folgen.
Denn die (logische, nicht widerlegbare) Erkenntnis, dass der Mensch handelt, bedeutet gleichzeitig auch, dass sich seine Vorlieben, seine Urteile und vor allem auch seine Reaktionen auf sich verändernde Lebensumstände und -bedingungen fortwährend ändern. Dass der handelnde Mensch immer in gleicher Weise handelt und reagiert, ist (logisch) nicht denkbar. So zu denken, würde bedeuten, dass das menschliche Handeln einer perfekten Voraussicht unterliegt, dass es also so etwas wie Unsicherheit über künftige Ereignisse nicht gibt.
Doch die Vorstellung perfekter Voraussicht (das Nichtvorhandensein von Unsicherheit) ist denkunmöglich: Denn gäbe es so etwas wie perfekte Voraussicht (also eine Welt ohne Unsicherheit), so könnte der Mensch nicht handeln: Alles Künftige wäre vorgegeben und könnte nicht durch menschliches Handeln – also die Wahl, das Eine zu tun und das Andere nicht zu tun – beeinflusst werden. Doch, wie vorangehend erläutert, es ist eben nun einmal nicht denkmöglich, dass der Mensch nicht handelt. Unsicherheit ist folglich eine Kategorie der Logik des menschlichen Handelns. Stimmt man zu, dass der Mensch handelt, so gelangt man auch zu dem Schluss, dass es so etwas wie einen stabilen Wert nicht geben kann.
Wert
Wert ist eine subjektive Kategorie. Ob ein Kunstwerk als schön oder nicht schön empfunden wird, ob ein Buch als wertvoll oder wertlos angesehen wird, obliegt allein dem Betrachter. Keine Sache, kein Ding hat so etwas wie einen “Wert an sich”. Ob etwas einen Wert hat, hängt allein davon ab, ob es jemanden gibt, der einer Sache oder dem Ding einen Wert beimisst. Und jemand wird einer Sache oder einem Ding einen Wert beimessen, wenn sie ihm aus seiner persönlichen Sicht heraus einen Nutzen stiftet. Mit anderen Worten: Der Wert bestimmt sich stets aus dem Nutzen, dem eine Sache jemanden stiftet.
Dies gilt natürlich und gerade auch für das Geld. Die Anzahl der Geldeinheiten, die für ein Gut auf einem Markt gezahlt werden, ist nichts anderes als Ausdruck der subjektiven Werte, die ihnen die Handelnden beimessen. So zeigt zum Beispiel ein vollzogener Tausch bei einem Marktpreis für 1.400 USD pro Feinunze Gold, dass für den Käufer die Feinunze Gold mehr Wert war als 1.400 USD, und dass sie für den Verkäufer weniger Wert war als 1.400 USD. Jeder tauschte das ein, was er als weniger wertvoll empfand, und erhielt dafür das, was er als wertvoller erachtete.
Weil menschliche Wertschätzungen sich nun aber fortlaufend ändern (müssen), so bleibt natürlich auch der Wert des Geldes davon nicht unberührt. Von dieser Gesetzmäßigkeit bleibt auch der Wert des Edelmetallgeldes nicht verschont. – Währungsgeschichtlich gesehen wurden meist Gold und Silber als Geld gewählt, weil sie in ganz besonderer Weise nutzenstiftend sind: Sie erfüllen die Geldfunktionen am relativ besten. Gold und Silber sind (relativ) knapp, haltbar, teilbar, prägbar, transportabel, und sie waren vor allem auch allgemein wertgeschätzt. Sie sind geradezu ideales Geld!
Doch man geht fehl, wenn man denkt, dass Gold und Silber “an sich” wertvoll seien; dass man mit einem Goldstück oder Goldbarren einen “reellen” Wert in Händen hält, der von allen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen isoliert wäre. Das ist nicht so! Denn wie bereits gesagt, weder das Gold noch irgendein anderer Gegenstand haben einen Wert “an sich”. Der Wert des Goldes ist – so wie der Wert einer jeden andern Ware auch – allein von dem Nutzen abhängig, den der Gebrauch des Goldes aus Sicht des Verwenders gewährt. (2)
Das zeigte sich zum Beispiel deutlich, als Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Auffassung um sich griff, Papiergeld sei verlässliches Geld, und Gold hätte als Geld ausgedient. Für Sparer und Investoren verringerte sich damals der Nutzen des Goldes relativ zum Papiergeld, und die Folge war ein Verfall des Goldpreises (d. h. des Austauschverhältnisses zwischen Gold und Papiergeld). Gleiches ließ sich beobachten, als in den Vereinigten Staaten von Amerika Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts das Silber “demonetisiert”, d. h. als gesetzliches Zahlungsmittel aufgegeben wurde: Der Silberpreis verfiel daraufhin (drastisch), weil das Silber die wertbildende Komponente des Geldnutzens verlor.
Der Besitz von Gold würde somit nicht gegen Verluste sichern, die zum Beispiel aus einer Demonetisierung des Goldmetalles entstehen würden. Doch ganz anders als bei Papiergeld ist kaum vorstellbar, dass ein Edelmetallgeld seinen Wert ganz und gar verliert. Denn Edelmetalle haben, anders als Papiergeld, stets auch eine nichtmonetäre Verwendung, sei es als Schmuckgut oder als Produktions-Inputfaktor in der Industrie.
Der Wert des Goldes
Wie wechselhaft der subjektiv empfundene Nutzen des Goldes (und auch der anderen Edelmetalle) sein kann, haben gerade die letzten drei Jahre gezeigt. Im Herbst 2011 erreichte der Goldpreis (In USD pro Feinunze gerechnet) sein bisheriges Hoch von 1.900 USD pro Feinunze. Der Preisauftrieb des Goldes war in dieser Phase vermutlich vor allem durch einen verstärkten Geldnutzen, genauer: Werterhaltungsnutzen, getrieben, die die Marktakteure dem gelben Metall zuschrieben. Nachfolgend griff die Erwartung um sich, dass das Papiergeld nicht (oder nicht so rasch und stark wie bisher befürchtet) entwertet werde. Der subjektiv empfundene Nutzen der Goldhaltung ging zurück. Andere Anlageformen (wie zum Beispiel Aktien) wurden als zunehmend attraktiver eingestuft. Der sinkende Nutzwert des Goldes übersetzte sich in einen nunmehr fallenden Goldpreis.
Für viele Menschen ist das Papiergeld zum vertrauten Geld und Sparmedium geworden. Doch eben dieses Papiergeld ist dabei, seinen Geldnutzen einzubüßen: Alle wichtigen Zentralbanken sind im Zuge ihrer “Krisenbewältigungspolitiken” dabei, die Papiergeldmengen immer weiter zu vergrößern, auch und gerade relativ zum Goldangebot. Die weiter anschwellenden Papiergeldmengen werden unweigerlich den (Grenz-)Nutzen und damit den Wert der Papiergeldeinheit relativ zum Gold verringern. Diese Entwicklung mag sich nicht hier und jetzt im Marktpreis des Goldes zeigen. Sie wird jedoch früher oder später in Erscheinung treten.
Der Ökonom Ludwig von Mises (1881 – 1973) sprach sich für eine Goldwährung aus. Aber nicht, weil er der Meinung war, dass das Gold wertstabil sei, sondern weil er wusste, dass man den Wert des Goldes nicht beliebig manipulieren kann. In seinen Worten: “Man hat an der Goldwährung manches auszusetzen gewusst; man hat ihr den Vorwurf gemacht, dass sie nicht vollkommen sei. Doch niemand weiss anzugeben, wie man an Stelle der Goldwährung Vollkommeneres und Besseres setzen könnte. … Die Goldwährung macht die Gestaltung der Kaufkraft von dem Einfluss der Politik und der schwankenden wirtschaftspolitischen Anschauungen wechselnder Majoritäten unabhängig. Das ist ihr Vorzug.”
Von Prof. Thorsten Polleit