Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, sieht im Stresstest der EZB ein Kapitel zu einer Vergemeinschaftung der Schulden und Risiken in der Euro-Zone. Ziel sei die Errichtung eines „Schattenstaates aus supra-nationalen Institutionen und zwischenstaatlichen Verträgen“. Er soll in der Euro-Zone die Defizite ausgleichen, die ein nicht zu Ende gedachtes Konstrukt aufweist. Nachhaltig kann eine solche Entwicklung nicht sein.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist es nicht erstaunlich, dass nach dem Banken-Stresstest nicht eine einzige Bank geschlossen werden muss? In jeder anderen Branche wäre das der Normalfall…
Thomas Mayer: In der Tat. Seit der Finanzkrise wurden in der EWU nur wenige Banken geschlossen. Die Federal Deposit Insurance Corporation in den USA war da wesentlich aggressiver und hat die Bereinigung des Sektors erzwungen. Bei uns steht die notwendige Bereinigung und Konsolidierung des Bankensektors bis heute aus.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die EZB (Constâncio) hat gesagt, dass man für den Stresstest noch keine aktuellen Krise wie die Russland-Krise berücksichtigen konnte. Wie aussagekräftig ist ein solcher Test?
Thomas Mayer: Jeder Stresstest kann nur die von dem früheren amerikanischen Verteidigungsminister Rumsfeld so treffend genannten „known unknowns“ berücksichtigen. Oft sind es aber die „unknown unknowns“, die uns am meisten Probleme bereiten. Der EZB Stresstest hat nicht einmal alle „known unknowns“ behandelt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die BoE hat angekündigt, ihr Test werde schärfer sein und unter anderem einen Preisverfall von 35 Prozent bei Immobilien simulieren. Warum fehlt ein solches Szenario beim EZB-Test?
Thomas Mayer: Das wissen nur die Designer des Tests. Man hat aber auch auf vieles andere Risiken, wie auf die erwähnte Russlandkrise oder auf anhaltende Deflation im Euroraum, nicht getestet. Insofern sollte man die Aussagefähigkeit des Tests nicht zu hoch einschätzen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die EZB hat sich weder mit einem Deflations-Szenario noch mit der extremen Vernetzung befasst. Ist ein Gesamt-Crash des Systems möglich – oder sind die Banken bereits ausreichend voneinander abgeschirmt?
Thomas Mayer: Man hat die Risikopuffer erhöht, aber die Netzwerkeffekte bestehen weiter fort. Insofern ist das System sicherer geworden, aber eben nicht „bombensicher“. Dies liegt in der Natur unseres Geldsystems, in dem Geld über die Kreditvergabe der Banken produziert wird.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: War der Stresstest eine politische Übung, um auf Teufel komm raus zu beweisen: Der Euro funktioniert, wir bekommen die Lage in den Griff?
Thomas Mayer: Der Stresstest war die Vorbedingung für die einheitliche Überwachung durch die EZB, und diese wiederum die Vorbedingung für die Möglichkeit, dass der ESM Banken direkt rekapitalisieren kann. Mit der Möglichkeit der direkten Rekapitalisierung der Banken durch den ESM wollten vor allem die Südländer die Risiken in den Bilanz ihrer Banken vergemeinschaften.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie sprechen von der EZB als einem „Schattenstaat“. Kann ein solches Gebilde auf Dauer wirklich die Bürger eines ganzen Kontinents regieren?
Thomas Mayer: Nein. In unserem Kreditgeldsystem produzieren Banken privates Schuldgeld mit staatlicher Lizenz in einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Wie die Geschichte gezeigt hat, ist diese Form der Geldproduktion nur langfristig lebensfähig, wenn sie durch eine staatliche Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz und einen Staat als Regulator und Insolvenzverwalter in Krisenfällen gedeckt wird. Für die EWU haben die verantwortlichen Politiker in Ermangelung eines richtigen Staates einen Schattenstaat gebaut, der aus supra-nationalen Institutionen wie dem ESM sowie zwischenstaatlichen Verträgen besteht. Aber wie das Beispiel Frankreichs und Italiens gerade zeigt, lassen sich souveräne Staaten ihre Souveränität nicht so einfach beschneiden. Daher wird sich der Schattenstaat als Papiertiger erweisen, der die EWU nicht dauerhaft absichern kann.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter der Deutsche Bank Research. Bevor er in die Privatwirtschaft wechselte, bekleidete er verschiedene Funktionen beim Internationalen Währungsfonds in Washington und beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel.