EU: »Verwirrte, Verirrte und Aliens…«

Die größten Feinde Europas sind nicht die so genannten Rechtspopulisten –  die größten Feinde eines demokratisch verfassten Europas sitzen an seiner Spitze. Richtiger gesagt, sie schweben dort. Bar jeder Bodenhaftung. Und taub und blind.

EU-Austritt-GB-10052016»Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!« hatte George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 formuliert („I‘ve said it in the past that nations are either with us or against us in the war on terror.“).

Der Satz ist nicht nur ziemlich dumm, sondern auch gefährlich: Niemand, die nicht meine Meinung teilt, ist allein deswegen mein Feind. Und niemand, der sie teilt, allein deswegen mein Freund. Um von denen, die meine Meinung gar nicht kennen oder ihr nur in Teilen zustimmen, gar nicht erst zu reden.

Diese erzwungene Spaltung in „gut“ und „böse“ – mit einem dazwischen liegenden Vakuum – hat leider Schule gemacht. Und brisant wird sie immer dann, wenn sie Hand in Hand mit einem ausgesprochenen oder auch nur subtilen „Parteiergreifungszwang“ daherkommt, der nicht auf Verständigung, sondern auf Konfrontation aus ist.

So etwas sehen wir heute beispielsweise beim Flüchtlingsthema. Natürlich gibt es einen (öffentlich meist schweigenden) Teil der Bevölkerung, der das Für und Wider einer unkontrollierten Zuwanderung kritisch auseinander zu halten vermag. In der öffentlichen Diskussion und insbesondere in den Medien kommt diese Gruppe aber praktisch nicht vor:

Die vom Kanzlerinnenwort Getriebenen und mit wenig Sinn für das tatsächlich „Schaffbare“ ausgestatteten, heute als „Gutmenschen“ diffamierten Protagonisten offener Grenzen stigmatisieren all jene, die nicht ge- schlossen hinter ihnen stehen, als fremdenfeindlich, als Nazis und sonderbarerweise im selben Atemzug oft auch gleich als homophob, islamophob und rückwärtsgewandt. Kurz: als all das, was heute unter dem bedeutungsveränderten Begriff „rechts“ zusammengefasst wird.

Die Gegenseite wirft den „Gutmenschen“ die zumindest fahrlässige Zerstörung Europas durch arabische und nordafrikanische „Invasoren“ vor, bezichtigt sie des Hasses auf die eigene Bevölkerung, der Förderung des Untergangs der Sozialsysteme und des inneren Friedens, der Islamisierung oder Afrikanisierung Europas usw.

Beide Seiten, und da liegt der Hase im Pfeffer, haben ihre Meinung längst zum Dogma erhoben, an dem es nichts zu zweifeln und schon einmal gar nicht etwas zu rütteln gibt. Und liest man sich in einigen Foren durch, was sich „Gutmenschen“ und „Nazis“ gegenseitig an den Hals wünschen (den Strick nämlich), scheint die Rückkehr zu einer gemäßigten, konsensfähigen Streitkultur wenig wahrscheinlich zu sein.

Was besonders aufstößt ist, mit welcher Vehemenz sich beide Seiten gegenseitig angreifen. Und mit welcher Penetranz die „Gutmenschen“ die bedingungslose Kapitulation vor einer allumfassenden Toleranz einfordern, selbst aber partout nicht bereit sind, eine andere als die eigene Einstellung zu tolerieren, während die „Nazis“ fast jeden ihnen hingestellten Fettnapf nutzen, um mit beiden Füßen hineinzuspringen. Und doch:

Die „Mitte“ der Bevölkerung gibt es auch noch. Aber da sie sich politisch immer weniger gehört und verstanden fühlt, hat das Flüchtlingsthema mittlerweile wirklich das Potential, die Spaltung der Gesellschaft zu forcieren.

EU: Nichts verstanden

Ja, leider hat sich auch die EU die Aussage George W. Bushs zu Eigen gemacht: „Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns“. Wenn EU-Kommissionspräsident Juncker am Dienstag vor dem Europaparlament auf einmal die englische Sprache mied, verdient das nur noch das Prädikat „pubertär“.

Wenn es wirklich wahr war und ist, dass sowohl Großbritannien als auch die EU von ihrem Miteinander profitiert haben, warum hat man es dann so eilig, den Briten so rasch wie möglich den Stuhl für die Türe zu setzen? Eigene Vorteile preiszugeben, nur um einem scheidungswilligen Partner damit Schaden zufügen zu können – auch das ist bestenfalls als pubertär zu bezeichnen.

Am Donnerstag, Englands Noch-Premier Cameron hatte gerade erst betont, dass der „Brexit“ im Wesentlichen auf die Migrationsthematik und das Demokratiedezit der EU zurückzuführen sein, trat die EU dann noch einmal richtig aufs Gaspedal:

Jean-Claude Juncker gab bekannt, das nach wie vor streng geheime Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) an den nationalen Parlamenten vorbei in Kraft setzen zu wollen. Dass die EU-Kommission, selbst in keiner Weise demokratisch legitimiert, nun gewählten Volksvertretern (was immer man von ihnen halten mag) ein Mitspracherecht zu verwehren versucht, unterstreicht, dass Brüssel den Warnschuss aus London tatsächlich nicht gehört hat. Entsprechend groß war der Aufschrei in Europas Hauptstädten.

Juncker, dessen teilweise etwas derangiert wirkende Auftritte ihm in den „sozialen Medien“ zuletzt den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Boris Jelzin der EU“ einbrachten, scheint der Wirklichkeit – aus welchen Gründen auch immer – tatsächlich mehr und mehr entrückt zu sein:

Nach dem Brexit will er nun auch dafür Sorge tragen, „die Währungsunion zu vollenden“, also auch EU-Länder wie Schweden, Dänemark, Polen und Tschechien mit dem Euro zu beglücken. Einen lesenswerten Artikel, in dem sich auch die von mir bereits früher zitierten Aussagen Herrn Junckers wiederfinden, sehen Sie hie: Hält sich Junckr?

Das von mir ja wiederholt skizzierte, undemokratische, selbstherrliche und arrogante Gebaren des Europarates und der EU-Kommission könnten beiden gefährlich werden: Wenn die nationalen Regierungen erst einmal auf den Trichter kommen, mit berechtigtem Widerstand gegen Brüssel bei der eigenen Wählerklientel punkten zu können, verlören beide Institutionen ihre derzeit wichtigsten Krücken.

Die neue Marschrichtung Brüssels gegenüber London ist unüberhörbar: Ein Land, das die EU zu kritisieren wagt und dafür in einem Akt der Demokratie auch noch die Mehrheit hinter sich bringt, möge sich so schnell wie möglich vom Acker machen. Und danach am besten schwungvoll in Schutt und Asche versinken.

Sieht man sich einmal die Liste der größten Nettozahler und -empfänger der EU an, muss London nicht zittern. Mit einem Minus von 4,9 Mrd. Euro hatten die Briten (Zahlen aus 2014) nach Deutschland und Frankreich das drittgrößte nominale De zit in der EU zu tragen.

Festhalten lässt sich nach dem Brexit bis jetzt vor allem eines – was wir aber eigentlich schon wussten: Die von Brüssel gewollte, künstlich propagierte „Kollektivseele“ der EU-Länder gibt es nicht. Die Europäer wollen ein Europa der Vielfalt, ein Europa der Völker. Und sie wollen ein „Wollen“, kein „Müssen“.

Nun käme es darauf an, dass die EU die Gunst der Stunde – und genauso würde ich das Signal des Brexits bezeichnen – nutzt, um sich von Grund auf zu reformieren. Die Kanzlerin tat jedoch am Mittwoch kund, dass das nicht nötig sei und dass man die Maastricht-/Lissabon-Verträge nicht verändern müsse, da sie ein „großes Maß an Flexibilität“ böten“.

Wie bitte? Die Juristen selbst betrachten die „Konkordanz“, also die Eindeutigkeit als wichtigstes Merkmal ihrer Fachsprache. „Flexible Rechtsanwendung“ nennt man Rechtsbeugung. Was die EU-Verträge betrifft, hat sich die EU tatsächlich bis jetzt vor allem damit hervorgetan, sich einfach nicht an die von ihr selbst beschlossenen Regelwerke zu halten. Wie war das noch mit dem „Stabilitäts- und Wachstumspakt“? Maximales Haushaltsdefzit von 3 Prozent des BIP, Begrenzung der öffentlichen Verschuldung auf 60 Prozent des BIP?

Wie war das noch mit der „No-Bailout-Klausel“ (Nicht-Beistandsklausel), nach der kein EU-Mitgliedsstaat für Schulden und Verbindlichkeiten anderer EU-Länder in Anspruch genommen werden darf? Wie war es bei den EZB-Statuten, nach denen die Notenbank keine Staatsanleihen kaufen darf?

Ich denke: Weder die Bundeskanzlerin noch die EU haben überhaupt begriffen, wo die Bürger der Schuh drückt. Beide re(a)gieren zunehmend autokratisch, was ich auch etwas pointierter formulieren könnte. Aber bitte, lassen wir doch einmal die Kirche im Dorf:

Das alles spielt sich doch schon so lange vor den Augen der EU-Bürger ab, dass es wirklich mehr als schäbig ist, nun auf die Briten einzuschlagen, die als erste (more to follow) den Mut und vor allem auch die Gelegenheit hatten, ihren Unmut einmal kundzutun.

Mir persönlich – Sie mögen anderer Meinung sein – imponiert das. Denn die Bereitschaft der meisten EU- Bürger, sich gegen die bestehenden – und vielleicht doch noch reparablen Missstände der EU zu wehren, tendierte in den letzten Jahren gegen null. Der Aufschrei hätte schon viel früher kommen müssen!

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