Der Ökonom Jeremy Rifkin liebt große Thesen, jetzt verkündet er den Niedergang des Kapitalismus und den Beginn einer sozialen Gemeinschaft. Das klingt nach einer naiven Utopie. Aber ist es überhaupt eine?
Es hat ein bisschen gedauert, bis die Zukunft aussieht, wie wir sie uns einmal vorgestellt haben, wie eine Welt voller hilfreicher Roboter und Wunscherfüllungsautomaten, eine Welt also, in der sich nicht nur Nullen und Einsen steuern lassen, sondern auch Dinge, jene aus Holz und Stahl und Stein oder wenigstens solche aus Plastik. Zurzeit aber vergeht kein Tag mehr, an dem nicht eine neue Wundernachricht vom sogenannten Internet der Dinge zu hören ist, von schlauen Häusern und selbstfahrenden Autos, von T-Shirts, die unseren Schlaf steuern, und Pflastern, die unseren Puls messen, von Kühlschränken, die Milch nachbestellen, oder von Zimmern, die sich mit ein paar Wischbewegungen umbauen lassen.
Auch in dieser Woche wurde der futuristische Maschinenpark wieder um zwei aufsehenerregende Neuheiten erweitert. Von der niedlichen Armbanduhr von Apple, jener als modischer Schnickschnack verharmlosten Disziplinierungsmaschine, dürften inzwischen auch Menschen ohne Smartphone gehört haben. Erstaunlich wenig Aufmerksamkeit dagegen bekam ein Menschheitstraum, der gestern auf einer Industriemesse in Chicago, nun ja, eben nicht vom Band lief: der „Strati“, das erste Auto aus dem 3-D-Drucker. Die amerikanische Firma Local Motors fertigte den zweisitzigen Buggy innerhalb einer Woche, Kernstück ist ein Chassis aus schnelltrocknendem Carbon-Plastik-Gemisch, Schicht für Schicht aufgetragen von einem riesigen 3-D-Drucker.
Der Strati ist das Gegenmodell zur Apple-Uhr, designt von einem italienischen Amateur aus der Crowd, ein basisdemokratisch entworfener Volkswagen sozusagen. Und natürlich kann man darüber spotten, dass er so auch aussieht. Die interessantere Frage ist aber, warum er überhaupt noch Sitze hat. Damit aber der Drucker einen fahrerlosen Wagen ausspuckt, müsste man nur eine andere Software einlegen.
Die prognostizierte „Sharing Economy“
Wie all diese neuen Apparate die Welt verändern, verbunden in einem gigantischen Netz; was sie mit ihren Benutzern machen, die unaufhörlich analysiert und optimiert werden, und auch mit jenen, die glauben, sich den Veränderungen durch Nichtbenutzung entziehen zu können, darüber kann man derzeit gar nicht so schnell spekulieren, wie der Wandel Wirklichkeit wird. Während man sich noch wundert, wer sich freiwillig eine elektronische Wanze anlegt, die den Pulsschlag an einen Großkonzern sendet, prophezeien Marktforscher 60 Millionen Käufer. Und 26 Milliarden Geräte, die bis zum Jahr 2020 ans Internet angeschlossen sein werden. Was das für die Wirtschaft bedeutet, das fassen die Analysten von Gartner, die diese Zahl ermittelt haben, so zusammen: „Milliarden Dinge, Billionen Dollar.“
Ungefähr hier aber ist der Punkt, an dem die Utopien aufeinanderprallen, die momentan über die digitale Zukunft im Umlauf sind. Man muss nämlich gar kein Skeptiker sein, um Einwände gegen die kommerziellen Chancen zu haben, die das Internet der Dinge eröffnet; es reicht, die Apple Watch ein bisschen vorzustellen und die ökonomische Entwicklung auf die Spitze zu treiben. Die Frage nämlich, ob die Versprechen einer sozialen Weltgemeinschaft, ohne die kein Werbespot aus dem Silicon Valley auskommt, vielleicht tatsächlich eintreffen und damit all den schönen Profitphantasien ein Ende machen, wird mittlerweile von immer mehr Menschen mit Ja beantwortet. „Sharing Economy“ heißt der Begriff, unter dem diese Vision kursiert, und es sind längst nicht mehr nur ein paar schweißfüßige Couchsurfer, die daran glauben.
„Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“
Nun hat auch einer der berühmtesten Berufsvisionäre der Gegenwart, der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin, seine umfangreiche Analyse über den Siegeszug des neuen Wirtschaftssystems vorgelegt, das er die „kollaborativen Commons“ nennt. Vor kurzem ist das Buch auch auf Deutsch unter dem Titel „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ erschienen. In der Ökonomie des Teilens und Tauschens sieht Rifkin ein neues Paradigma, und zwar eines im Sinne des Philosophen Thomas S. Kuhn, eines also, das alles verändern wird: die Wirtschaft, die Gesellschaft, unsere Art zu leben und zu denken. Der Kapitalismus, meint Rifkin, wird spätestens in ein paar Jahrzehnten nur noch in einigen Nischen stattfinden.
Rifkin neigte schon immer zu den ganz großen Entwürfen, er ist eher der Mann für die Szenarien von übermorgen, was tendenziell zur Folge hat, dass man ihn immer erst nach Jahrzehnten widerlegen kann, dann also, wenn es dummerweise zu spät ist, an den Entwicklungen etwas zu ändern. Auch diesmal ist seine Großthese, die, wenn auch nicht den sofortigen Tod, dann doch zumindest den unaufhaltsamen Niedergang des Kapitalismus voraussagt, so radikal, dass einem sämtliche Einwände an ihrer Plausibilität schnell wie kleingeistige Spielverderberei vorkommen. Seine Hoffnung auf eine kooperative Wirtschaft, das ist die Pointe des Buches, wird weder durch reinen Idealismus angetrieben, noch ist sie der Slogan einer jener neokapitalistischen Sharing-Unternehmen wie die Zimmervermittlung AirBnB oder die Privattaxizentrale Uber, die alles andere als gemeinnützige Vereine sind. Es ist die Logik des Kapitalismus, die „Schizophrenie“ in seinem Kern, wie Rifkin schreibt, die dazu führt, dass er sich selbst auffrisst: Im freien Wettbewerb steigt die Produktion ständig, die Preise fallen, bis sie keine Gewinne mehr einbringen. Am Ende liegen die Grenzkosten, die Kosten für jede zusätzlich produzierte Einheit, fast bei null.
Tauschwert überall
In der Unterhaltungsindustrie ist diese Entwicklung längst offensichtlich, und dass sie vor der Welt der Atome nicht haltmacht, wird allmählich absehbar. In der Energiewirtschaft macht die Solartechnik Kunden zu Produzenten, in China werden nicht nur Autos ausgedruckt, sondern ganze Häuser. Die Frage aber ist nicht nur, ob damit auch der Kapitalismus gefährdet ist, auch da, wo er längst sein Heil nicht mehr in der Produktion, sondern in Dienstleistungen, Datenbankmanagement und irgendwelchen anderen aufwendigen „Solutions“ sucht. Die Frage ist auch, ob man sich überhaupt wünschen soll, dass Rifkin wieder einmal recht behält; ob es tatsächlich ein Versprechen ist, wenn das, was vorher dem Kreislauf der kommerziellen Verwertbarkeit entzogen war, von der eigenen Wohnung bis zum nachbarschaftlichen Gefallen, einen Tauschwert bekommt, in welcher utopischen Währung auch immer. Wenn jeder Mensch funktionieren muss wie eine durchrationalisierte Fabrik.
In der vergangenen Woche war Rifkin in Berlin, um seine These in Interviews und Talkshows auszuführen. Auch im Gespräch kann er nicht alle Zweifel ausräumen, und doch wird, wenn man ins Detail geht, viel deutlicher als in seinem atemlosen Buch, dass er schon sehr genau weiß, wo die Hürden auf dem Weg zur globalen Digitalkommune stehen. Natürlich, sagte er, werde der Wandel, den er beschreibt, „ein langer, qualvoller Prozess“, schließlich entstehe nicht alle paar Jahre ein neues Wirtschaftssystem. Er ist auch nicht blind für die Macht monopolistischer Firmen und die Notwendigkeit ihrer Regulierung, für die Angst vorm Verlust der Privatsphäre und vor Datenmissbrauch oder für das drohende Ende der Netzneutralität, jenem Prinzip, dass im Internet alle Daten gleich schnell verschickt werden, ob sie von Großkonzernen oder Einzelpersonen kommen.
All dies seien Kämpfe, die ausgetragen, Probleme, die geklärt werden müssen, es werde „ziemlich schmutzig“. Am Ende aber werde es nicht nur einem Giganten wie Google schwerfallen, der Macht der Milliarden zum Prosumer gewordenen Kollaborateure standzuhalten, sondern auch Unternehmen wie Uber, die glauben, daran mitverdienen zu können. „Die Fahrer in der ganzen Welt werden sagen: ,Warum sollte ich mich von Uber ausnehmen lassen?‘ Ich könnte im direkten Umkreis dieses Platzes zehn Programmierer finden, die so eine Seite bauen können, und eine Kooperative gründen. Kann man sich vorstellen, dass die Milliarden von Menschen bis zum Ende der Welt dasitzen werden und sich ihre Ideen und Daten wegnehmen und für kommerzielle Zwecke benutzen lassen? Und niemand wird etwas dagegen tun? Das widerspricht der Geschichte!“
Konzerne bloß als Starthelfer
In Rifkins Zeitrafferaufnahme sind nicht nur Internettraditionsunternehmen wie Ebay, Amazon oder Facebook, sondern auch die gerade noch gehypten Unternehmen der Sharing-Ökonomie lediglich Akteure einer Übergangsphase, einer „hybriden Ökonomie“, in der Kapitalismus und soziale Commons nebeneinander existieren. In der neuen Wirtschaftsordnung wird man sie genauso wenig brauchen wie Plattenfirmen, Kaufhäuser, Stromkonzerne und all die anderen Zwischenhändler des analogen Kapitalismus. Ein bisschen dürfen sie noch mitverdienen am Aufbau des „Super-Internets“, das die Bereiche Kommunikation, Energie und Logistik integriert. Doch wenn es halbwegs von alleine läuft, glaubt Rifkin, wird die Crowd anfangen, auch die Steuerung und Kontrolle dieser Weltmaschine zu übernehmen.
Dass die Macht der Internetmonopolisten gerade darin besteht, den allgemeinen Zugang zu den Daten, also gewissermaßen zum Rohmaterial der neuen Ökonomie, zu verhindern; dass also nicht einfach jeder dahergelaufene Datenschneider in seinem Heimatelier eine neue Suchmaschine oder ein soziales Netzwerk zusammenschnipseln kann, ist für ihn kein Gegenargument, im Gegenteil: Wie die Fabrikarbeiter der industriellen Revolution werden sie sich, wenn sie sich erst einmal ihrer Macht bewusst sind, zusammenschließen und ihre Rechte erkämpfen.
Rifkin kann ohne Punkt und Komma erzählen von dieser idealen neuen Welt, in der sich jeder in das globale Nervensystem einklinken kann, um irgendeine Idee einzuspeisen, die dann am anderen Ende als 3-D-Ausdruck wieder herauskommt. Natürlich klingt das alles nach einer Neuausgabe des „Whole Earth Catalogue“, und spätestens wenn Rifkin irgendwann ins Transzendentale abdriftet, wenn er den „Übergang zum Biosphärebewusstsein mit einer Ausweitung unserer Empathie auf die ganze Menschheit als unserer Familie und auf unsere Mitgeschöpfe als evolutionäre Großfamilie“ ankündigt, ist der Moment gekommen, wo auch die Staatschefs und Minister, die sich so gern von ihm beraten lassen, die Augen verdrehen.
Ökonomie der Kollaboration
Es ist aber der Punkt, an dem es interessant wird. So falsch, naiv, geschwätzig man Rifkins Digitalromantik finden kann, so wenig hat sie mit den Slogans zu tun, die in der Ideologie des Silicon Valley davon übrigbleiben, einer Ideologie, die man ja vor allem daran erkennt, dass sie das Grand Design, die politischen und ökonomischen Effekte ihrer Spielzeuge verschweigt. Statt großer Gesellschaftsentwürfe formuliert sie Floskeln und glaubt, die Welt retten zu können, indem sie Apps gegen Alltagsprobleme programmiert.
Es sind vielleicht nicht immer die richtigen Interpretationen, die Rifkin liefert, es sind aber die richtigen Kategorien. Das gilt auch für den wichtigsten Aspekt seiner Überlegungen, seine Kulturanthropologie. Das interessanteste Kapitel ist jenes, in dem er sich, wenn auch nur skizzenhaft, mit der Frage der Freiheit beschäftigt. Dass die herrschenden Vorstellungen von Privatsphäre eben auch nur die lieb gewonnenen Anpassungen an eine Welt des Privateigentums sind, „wo alles auf die Dichotomie ,mein‘ und ,dein‘ reduziert war“, dass es sich dabei also um Errungenschaften handelt, nicht um ein Menschenrecht, das sollte man eben auch im Hinterkopf haben, wenn man sie verteidigen möchte. Wenn man das eine ohne das andere haben will, die Autonomie ohne das Automobil gewissermaßen, reicht Technologiekritik allein nicht aus. Die Kraft der Autonomie, hat Theodor W. Adorno einmal gesagt, ist die Kraft des Nicht-Mitmachens. In einer Ökonomie der Kollaboration ist sie nicht vorgesehen.
Umso wichtiger ist es, dass ab und zu jemand wie Rifkin kommt, der die Fenster aufreißt und die richtigen Begriffe reinlässt. Am Donnerstag war er zu Gast bei Maybrit Illner. Auch dort sollte es um die Zukunft gehen. Stattdessen diskutierte die Runde über Entlassungen bei Karstadt und die 35-Stunden-Woche…