Von 2008 bis 2014 stieg die (zugegebene) Staatsverschuldung in Frankreich von 65 Prozent auf über 94 Prozent. Die Schulden wuchsen alleine seit 2005 um 700 Milliarden Euro auf 1.9 Billionen Euro.
Mehrere Unionspolitiker haben die Reformpolitik der französischen Regierung vor dem Deutschland-Besuch von Ministerpräsident Manuel Valls scharf kritisiert. „Ich erwarte von der neuen französischen Regierung, dass sie nun endlich konsequent das Haushaltsdefizit reduziert. Es ist unverfroren, zu sagen: ‚Mehr sparen geht nicht‘. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Griechen oder Portugiesen, die Rentenkürzungen hinnehmen mussten“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul SPIEGEL ONLINE.
Valls dürfe nicht dem Druck seiner realitätsfernen linken Parteibasis nachgeben, so Reul. „Frankreich muss sehr schnell wettbewerbsfähiger werden. Das geht nur mit radikalen Schritten“, so der Vorsitzende der CDU/CSU-Abgeordnetengruppe im Europaparlament.
Auch der Vizevorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff, forderte Paris zu größeren Anstrengungen auf. „Es reicht nicht aus, wenn Frankreich seine Führungsrolle ausschließlich über die Außen- und Sicherheitspolitik definiert, die französische Regierung muss auch eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben“, so der Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe.
Der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags, Gunther Krichbaum (CDU), sagte SPIEGEL ONLINE: „In seiner jüngsten Regierungserklärung ist Valls die Erklärung schuldig geblieben, wie er den maroden französischen Staatshaushalt sanieren will. Daher ist jetzt keine Besuchsdiplomatie gefragt, um für den Aufschub der dringend notwendigen Reformen zu bitten.“ Vielmehr müsse Valls seine sozialistische Partei von den Reformen überzeugen.
Der CDU-Wirtschaftspolitiker Christian von Stetten erklärte: „Das Modell des französischen Sozialstaates ist gescheitert.“ Dagegen sagte der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich: „Wir sollten durch unser Verhalten deutlich machen, dass wir die Anstrengungen anerkennen und von Besserwisserei absehen.“
Valls kommt am Montag zu einer zweitägigen Visite nach Deutschland. Er trifft unter anderem Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel. Neben Berlin besucht er auch Hamburg und Stuttgart.
Frankfreich bankrott
„Es gibt einen Staat, aber es ist ein Staat, der total bankrott ist.“ Damit es unmissverständlich wird: Diese bedeutsamen Worte hat der französische Wirtschaftsminister Michel Sapin in einem Vortrag gesprochen. Obwohl von Paris sofort zurückgepfiffen („aus dem Kontext heraus zitiert“), zeigt es den verheerenden Befund: Frankreich ist bankrott!
Frankreich ist nicht Griechenland oder Spanien oder gar Zypern. Mit einem Anteil von 20 Prozent an der Wirtschaftskraft des Euroraums ist es noch immer die zweitgrösste Wirtschaftsmacht in Europa. Von 2008 bis 2014 stieg die (zugegebene) Staatsverschuldung in Frankreich von 65 Prozent auf über 94 Prozent.
Seit 1974 hat das Land keinen Budgetüberschuss mehr erwirtschaftet. Die Schulden wuchsen alleine seit 2005 um 700 Milliarden Euro auf 1.9 Billionen Euro. Nur zur Erinnerung an die Adresse des Mitgründers von EWG, EU und Euro: 60 Prozent sollte laut Maastricht-Vertrag die Obergrenze sein.
Seit Einführung des Euro hat Frankreichs Export ein Drittel seiner Weltmarktanteile verloren. Und der Anteil der Industrie am französischen Bruttoinlandprodukt (BIP) sank von 18 auf 12 Prozent, während der Industrieanteil in Deutschland gleichzeitig von 24.8 auf 26.2 anstieg.
Seit 2007 verlor Frankreichs Industrie fast eine halbe Million Arbeitsplätze. Der Anteil Frankreichs an den Weltexporten ist von über 6 Prozent im Jahr 2000 auf unter 4 Prozent heute gesunken. Das üppige Sozialsystem mit seinem beinharten Kündigungsschutz, der 35-Stunden-Woche und bis zu neun Wochen Urlaub wird dem Land jetzt zum Verhängnis. Für viele Leute eine auswegslose Situation.