Täglich bitten Menschen einen Therapeuten, er möge ihnen helfen, ihre familiäre, berufliche oder private Situation zu ändern. Mal sind es die Kinder, die anders werden sollen, ein anderes Mal ist es der Partner, der sich ändern soll.
Sicher hast Du auch schon die Erfahrung gemacht, dass andere sich trotz intensivster Anstrengung Deinerseits einfach nicht geändert haben. Alles hast Du versucht und dennoch ist der andere keinen Zentimeter von seinem Standpunkt abgewichen, hast Du beim Anderen nicht im Geringsten das erreicht, was Du Dir gewünscht hast.
In einer solchen Situation glauben viele Menschen nur noch zwei Möglichkeiten zu haben, entweder sie fangen an zu leiden oder beginnen Alkohol, Medikamente oder Drogen zu nehmen, um ihre negativen Gefühle zu betäuben. Der Grund, warum so viele Menschen Tag für Tag unglücklicher sind, als sie es sein möchten, Alkohol und Medikamente missbrauchen oder sich gar das Leben nehmen, ist: Sie wissen nicht, dass sie es in der Hand haben, wie sie sich fühlen. Die meisten Menschen sind nämlich der Ansicht, dass ihre Gefühle durch andere Menschen oder die Umstände verursacht werden. Aussprüche wie: »Das macht mich ganz fertig!«, »Der bringt mich auf die Palme«, »Das macht mir Angst«, hast Du sicher schon oft gehört oder möglicherweise sogar selbst benutzt.
Glücklicherweise haben diese Menschen jedoch nicht Recht, wenn sie andere oder ihre Lage dafür verantwortlich machen, wie sie sich fühlen. Hätten sie Recht, dann wären wir allen anderen Menschen oder den Umständen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wir hätten dann keine Chance, uns je gut zu fühlen, wenn die Anderen oder die Lage es nicht zulassen würden.
In Wirklichkeit ist es so, dass jeder Mensch seine Gefühle selbst hervorruft. Während alle Menschen, wenn sie einen spitzen Stein im Schuh haben, körperliche Schmerzen verspüren, ärgern sich z.B. nicht alle darüber, wenn jemand »blöder Hund« zu ihnen sagt. Dies ist aber nur möglich, wenn jeder Einzelne bestimmt, wie er sich fühlt. Damit Du verstehen kannst, wie Du Deine Gefühle hervorrufst, musst Du Dein »ABC der Gefühle« kennen.
Jedes Mal, wenn Du traurig, verärgert, froh, ängstlich oder angespannt bist, hast Du…
A zuerst etwas wahrgenommen. Du hast etwas gesehen, gehört oder hast Dich an vergangene Ereignisse erinnert.
B dann Deine Wahrnehmung mehr oder weniger bewusst als positiv, neutral oder negativ bewertet und Dich als Folge davon
C traurig, verärgert, ängstlich, ruhig, froh usw. gefühlt und dementsprechend gehandelt.
Ein Gefühl besteht also in Wirklichkeit aus drei Teilen:
A aus der Situation
B Deinen bewertenden Gedanken über die Situation und
C Deinem Gefühl und Handeln
Wie Du Dich fühlst, hängt also nicht von der Situation oder Deinen Mitmenschen ab, sondern davon, was Du über die Situation oder Deine Mitmenschen denkst.
Schon vor etwa 2000 Jahren lehrte Epiktet: »Nicht die Dinge machen uns zu schaffen, sondern die Art und Weise, wie wir diese wahrnehmen!«
In der Sprache des »ABC der Gefühle« heißt das: Nicht A (das Ereignis) ist die Ursache von C (unserem Fühlen und Handeln), sondern B (unsere bewertenden Gedanken und Einstellungen).
Diese Tatsache erklärt auch, warum Menschen auf ein und dasselbe Ereignis verschieden reagieren können. Du kennst vielleicht Menschen, die einen kleinen Unfall mit ihrem Auto hatten, unversehrt aussteigen und so wütend auf sich und den anderen waren, dass sie in ihrer Wut fast noch Schlimmeres anrichteten. Ihr »ABC der Gefühle« könnte so ausgesehen haben:
A Ereignis: Unfall mit dem Auto, das Blech ist verbeult.
B Gedanken: »So ein blöder Hund. Dem sollte man den Führerschein abnehmen.«
C Gefühl und Handlung: Wut! Er beschimpft den anderen bis aufs Übelste.
Dann kennst Du auch Menschen, die unversehrt ausstiegen und sich freuten, dass sie noch leben. Ihr »ABC der Gefühle« könnte so aussehen haben:
A Ereignis: Unfall mit dem Auto, das Blech ist verbeult.
B Gedanken: »Bin ich doch ein Glückspilz, dass mir nichts passiert ist.«
C Gefühl und Handlung: Freude! Er unterhält sich ganz locker und entspannt mit dem Anderen.
Das auslösende Ereignis ist für unsere beiden Autofahrer dasselbe: Ein Unfall. Worin sie sich jedoch unterscheiden, ist die Art und Weise, wie sie darüber denken, und wie sie sich als Folge davon fühlen.
Du wirst jetzt möglicherweise einwenden, dass die beiden Autofahrer eine unterschiedliche Veranlagung haben, dass der eine eben leichter an die Decke geht als der andere. Nun, dann schau einmal bei Dir selbst nach. Gibt es bei Dir nicht auch Tage, an denen Du in der gleichen Situation ruhiger und ausgeglichener bist als an anderen? Gibt es bei Dir nicht auch Erlebnisse, die Du nach einer bestimmten Zeit verkraftet hast und mit anderen Augen siehst? Reagierst Du nicht auch auf bestimmte Menschen wütend, während Du auf andere, obwohl diese sich Dir gegenüber in der gleichen Art und Weise verhalten, ruhig?
Wäre es Veranlagung oder angeboren, wie wir gefühlsmäßig reagieren, dann müsstest Du in gleichen Situationen immer mit den gleichen Gefühle reagieren, und Du könntest Deine Sichtweise der Dinge nicht ändern. Schicksalsschläge und ungünstige Lebensumstände werden durch tragische Gedanken verstärkt. Ein Verlust ist schmerzlich. Wir fügen uns jedoch weiteren Schmerz zu durch unsere negative Meinung über den Verlust und unsere Meinung bezüglich seiner Bedeutung für uns und unser Leben. Es ist unser Denken, über das, was passiert, was uns seelische Schmerzen bereitet. Wie wir denken, fühlen und handeln werden, wurde uns nicht in die Wiege gelegt. Das haben wir gelernt, auch wenn es uns heute nicht mehr bewusst ist. Wir können es auch wieder »verlernen«!
Das »ABC der Gefühle« ist für alle Gefühle und Menschen gültig. Es liegt an uns bzw. an dem, was wir denken, wie wir uns fühlen. Wir müssen nicht unglücklich sein, sondern haben in jeder Situation drei Möglichkeiten, wie wir uns fühlen können: Positiv, neutral oder negativ. Wir kontrollieren immer unsere Gefühle, außer wenn unsere Hirntätigkeit durch Drogen oder eine Verletzung beeinträchtigt ist. Die Art unserer Gedanken bestimmt auch, wie wir handeln. Wir können negative Gefühle dadurch ändern, dass wir lernen, anders zu denken. Nun kannst Du einwenden, dass es eine Reihe von Situationen gibt, in denen der Anblick oder die Worte eines anderen schon ausreichen, damit Du sofort außer Kontrolle gerätst oder Dich einfach schlecht fühlst. Es scheint so, als ob Du in diesen Situationen gar nichts denkst und es der andere bzw. dessen Worte sind, die Dich ärgerlich machen. Tatsache jedoch ist, dass Du auch in diesen Situationen Gedanken hast, die dafür verantwortlich sind, dass Du aus der Fassung gerätst. Nur laufen diese Gedanken so blitzschnell und automatisch ab, dass sie Dir nicht bewusst sind…
Argon Avedias (Bernd M. Schmid)