Europa erlebt Zerfallserscheinungen, die an den Niedergang der Republik im Alten Rom erinnern. Die EU und die Nationalstaaten brechen Recht und Gesetz. Den Bürgern werden Brot und Spiele geboten. Rom ist an dieser Entwicklung zerbrochen. Die EU könnte, wenn sie die Demokratie weiter mit Füßen tritt, ein ähnliches Schicksal ereilen.
SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert, dass bestimmte Parteien nicht bei Entscheidungen in der EU mitwirken sollten (hier).
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier regte in der FAZ an, eine Eintrittshürde für Parteien bei EU-Wahlen zu errichten. Er begründete sein Plädoyer für eine Sperrklausel damit, dass er Zweifel habe, »ob der Einzug kleinster monothematischer Gruppierungen ins Europäische Parlament die Repräsentativität der deutschen politischen Landschaft in Straßburg wirklich erhöht«.
Jean-Claude Junker spricht von Erpressung, weil einige demokratisch gewählte Staats- und Regierungschefs von ihrem vertraglich vereinbaren Recht, ihn abzulehnen, Gebrauch machen wollen.
Wissen Politiker und Parteien eigentlich noch, wie die Demokratie funktioniert?
Wir erleben Zerfallserscheinungen, die an den Niedergang der Republik im Alten Rom erinnern. Diese Entwicklung ist kein Zufall.
Bei den europäischen Versuchen, die Eurokrise einzudämmen, haben die Euro-Retter die Mitwirkung der Parlamente systematisch unterlaufen. Die Demokratie wird abgebaut. Dieses Problem könnte in Deutschland noch zu einer gravierenden Krise führen: Nach der Bundestagswahl im Herbst 2013 verfügt die Regierung aus CDU, CSU und SPD über eine derart massive Mehrheit, dass sie wichtige Entschlüsse im Bundestag durchwinken kann, ohne dass es eine ernsthafte Debatte gibt. Entsprechend abweichende Meinungen, sei es durch Abgeordnete aus den eigenen Reihen oder durch Oppositionsparteien, werden nicht mehr geäußert. Bezeichnend für diese Entwicklung war die Abberufung des prononcierten ESM-Kritikers Klaus Peter Willsch (CDU) aus dem Haushaltsausschuss, in dem er 14 Jahre lang gedient hatte. Der letzte Kritiker der Plünderung der europäischen Steuerzahler durch den ESM wurde durch diese Maßnahme von wichtigen Informationen abgeschnitten.
Das ungedeckte Drucken von Geld führt, wie die Eurokrise zeigt, zwangsläufig zum Verfall von Moral und Anstand. Wenn eine große Staatengemeinschaft sich zum massiven Gelddrucken entschließt, führt das zwangsläufig zu Rechtsbrüchen und damit einem Verfall von Demokratie und Rechtsstaat – bis zu dem Punkt, an dem die Parlamente nur noch formale Hüllen sind. Eine solche Struktur sehen wir heute schon auf der Ebene der EU: Das EU-Parlament hat keine Rechte, die es als »Volksvertretung« legitimieren könnte. Es ist nichts anderes als ein großer, weiterer Versorgungsraum für die politische Klasse in Europa.
Die völlig unreflektierte Zustimmung der Bundestagsabgeordneten zum ESM zeigt, dass die Entwicklung auch die nationalen Parlamente erfasst. Wenn aber die per Grundgesetz eigentlich »freien« Abgeordneten nur noch so abstimmen dürfen wie von den Fraktionen angeordnet, dann muss sich der Steuerzahler fragen: Wozu braucht man die stattliche Anzahl von 631 Bundestagsabgeordneten? Eigentlich würde dann einer pro Partei genügen.
Die Beschneidung der demokratischen Rechte geht mit einer dauerhaften Irreführung der Bürger einher. Der Staat will verhindern, dass die Bürger die wenigen Möglichkeiten nutzen, die sie noch haben, um ihre Sparguthaben oder ihr Eigentum zu schützen.
Die FAZ berichtete 2011: »Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker ist ein Meister darin, Sätze derart kompliziert zu formulieren, dass der Zuhörer am Ende alles oder nichts hineinlesen kann. Das hat ihm auch in der Eurokrise viele Schlagzeilen eingebracht, denen sein Stab die Brisanz meist schlicht durch den Hinweis nehmen konnte, man möge den Satz doch einmal bis ans Ende lesen. Nun allerdings kursiert ein Satz Junckers in Brüssel, der an Klarheit kaum zu überbieten ist: ›Wenn es ernst wird, muss man lügen.‹ Gesagt haben soll Juncker das kurz vor Ostern bei einer Preisverleihung in der bayerischen Landesvertretung.« Der EUObserver hat den Spruch als Video dokumentiert. Juncker sagte, die Lüge sei notwendig, weil jedes Wort eines Politikers »Reaktionen der Börsen« aus- lösen könne. Deswegen forderte er: »Ich bin für geheime Verhandlungen in dunklen Räumen.« Politiker würden Millionen Menschen gefährden, wenn die Börsen falsch reagieren. Er habe, so Juncker, in den 22 Jahren »oft lügen müssen«.
Nachdem der Satz bekannt wurde, schrieb die FAZ, dass das Sprichwort »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht« auch in der Politik gelte. Die EU-Kommission zog aus dem Wirbel um den Juncker-Spruch die Konsequenz, dass »der Umgang mit Krisen ein Balanceakt« sei. Einschränkung: »Nur offen lügen sollte man nicht.«
Der Spiegel überlieferte einen anderen bemerkenswerten Ausspruch der ehemaligen Chefs der Euro-Gruppe aus dem Jahr 1999: »›Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert‹, verrät der Premier des kleinen Luxemburg über die Tricks, zu denen er die Staats- und Regierungschefs der EU in der Europapolitik ermuntert. ›Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter ‒ Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.‹«
Am 18. November 2011 veröffentlichte die New York Times ein Porträt von Wolfgang Schäuble. Darin legte Schäuble seine Vision vom Vereinigten Europa dar. Schäuble sagte: »Was wir jetzt mit der Fiskalunion machen, ist ein kurzfristiger Schritt für die Währung. In einem größeren Kontext brauchen wir natürlich eine politische Union.« Und weiter: »Es gibt eine begrenzte Übergangszeit, in der wir die Nervosität an den Märkten managen müssen. Wenn es bis Ende 2012 oder bis Mitte 2013 klar ist, dass wir alle Zutaten für neue, gestärkte und vertiefte politische Strukturen beisammen haben, dann denke ich, dass es funktionieren wird.« Die New York Times schreibt, dass Schäuble die Unruhe an den Märkten »nicht als Hindernis, sondern als Notwendigkeit« für die Neugestaltung Europas betrachtet. Schäuble sagte: »Wir können eine politische Union nur erreichen, wenn wir eine Krise haben.«
Eine Krise haben wir sicher schon erreicht: Es ist eine grundlegende Vertrauenskrise der Bürger in die Politik ihrer Regierungen. Eine Studie der Universität Hohenheim ergab, dass nur einer von zehn Deutschen glaubt, dass die Regierung ihnen die Wahrheit über die Eurokrise sagt (hier).
Dieser Vertrauensverlust rührt auch daher, dass die versteckten Rechtsbrüche leicht zu durchschauen sind. Die EZB mag sich formal nach den Buchstaben des Gesetzes verhalten, wenn es um das Verbot der Staatsfinanzierung durch Falschgeld geht. Sie kann jedoch, wie Guido Hülsmann schreibt, nicht daran »gehindert werden, dies auf Umwegen zu tun, nämlich mithilfe ihrer Partner im Bankensektor und auf den Finanzmärkten«.
Auch die Behauptung der Zentralbanken, das Gelddrucken sei ungefährlich, weil das Geld den Bankenkreislauf nicht verlasse, ist eine Irreführung: Durch das »staatenlose Geld« wird die Inflation heute einfach nur in andere Länder exportiert. Vor allem aber wird ein offenkundig krankes System am Leben gehalten. Bliebe das Zentralbank-Geld nur im Bankenkreislauf, müsste man sich fragen, wozu die Banken das Geld dann eigentlich brauchen?
Ganz sicher nicht, um den Unternehmen Kredite zu geben: Die Kreditvergabe an die Realwirtschaft ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Die Banken verwenden das Geld auch nicht, um sich gegenseitig Geld zu leihen. Der Interbankenmarkt ist seit der Lehman-Pleite faktisch zum Erliegen gekommen, wie Mario Draghi mehrfach beklagt hat. Nun will die EZB mit brachialen Maßnahmen erzwingen, dass die Banken ihr Verhalten ändern (mehr dazu hier).
Die Plünderung der Welt mit Schulden ist ein sicheres Indiz, dass das System des Falschgeldes (Roland Baader) zu Ende geht. Denn Geld ist nichts anderes als Vertrauen.
Bricht das Vertrauen weg, kollabiert das System.
Der Ökonom Lawrence Reed hat die Gründe für den Untergang des Römischen Reichs untersucht – und die Parallelen zur Gegenwart sind frappierend: »Um in den Tagen des zusammenfallenden Römischen Reichs Tribun zu werden, bestach ein Schurke namens Clodius die Wähler, indem er ihnen kostenloses Getreide auf Kosten des Steuerzahlers versprach. Er gewann die Wahl – und immer mehr Römer hatten das Gefühl, es sei lukrativer, auf Staatskosten zu leben als zu arbeiten. Kandidaten gaben hohe Summen aus, um gewählt zu werden. Waren sie einmal im Amt, plünderten sie die Bürger, um ihre Versprechen halten zu können. Etwa ein Drittel der Römer lebten zur Zeit Christi Geburt von staatlicher Unterstützung.«
Wir nennen das heute »Staatsquote«. Doch im Vergleich zu den aktuellen Zahlen war Rom zum Zeitpunkt seines Untergangs ein »schlanker Staat«. In Deutschland betrug die Zahl der Menschen, die in irgendeiner Form vom Staat leben – Rentner, Beamte, Arbeitslose, Hartz IV, Studenten – im Jahr 2013 immerhin 44,7 Prozent. Die Staatsquote ist in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten immer vergleichsweise hoch gewesen. Was die aktuelle Zahl jedoch bedeutsam erscheinen lässt, ist der demografische Faktor: Einer alternden Bevölkerung stehen immer weniger junge Arbeitskräfte zur Verfügung, die die Renten aufbringen können.
Wohin das führt, beschreibt Reed am römischen Beispiel: »Im Zuge der gewaltigen Schuldenkrise senkte die Regierung die Zinsen auf Null und weitete die Kreditvergabe dramatisch aus. Die Staatsausgaben wuchsen ins Unermessliche.«
Auch das kommt uns ziemlich bekannt vor: Die Null-Zins-Politik, die, wie wir oben gesehen haben, die Sparer um ihre Ersparnisse bringt, ist also ein Mittel, das schon die alten Römer eingesetzt haben. Ihre Republik konnten sie damit nicht retten.
Reed: »Die Regierung verstaatlichte die Landwirtschaft. Kaiser Domitian (81 n. Chr. bis 96 n. Chr., aus der Republik war längst eine Diktatur geworden) befahl die Zerstörung der Hälfte der Weingärten, um die Preise für Wein in die Höhe zu treiben.« Ein Großteil der Provinzen verlor seine Unabhängigkeit, weil sie im Zuge der Schuldenkrise von Rom abhängig geworden waren. Griechenland lässt grüßen.
Um das Volk bei Laune zu halten, wurden die Gladiatoren-Spiele verstärkt. Eine massive Geheimpolizei machte Jagd auf Steuerflüchtlinge.
Schließlich wurde das Recht auf staatliche Hilfe zu einem vererblichen Recht erklärt: Der Wohlstand auf Pump sollte nahtlos innerhalb der Familien weitergegeben werden. Kaiser Aurelian (270‒275) nahm den Bürgern die Arbeit ab und baute die Staatswirtschaft aus. Statt des freien Getreides gab es nun Gratisbrot, hergestellt in staatlichen Bäckereien. Dazu wurden kostenlos Salz, Schweinefleisch und Olivenöl abgegeben. Eine Inflation entwertete das Geld, bis zum bitteren Ende: »Rom hatte moralischen und wirtschaftlichen Selbstmord begangen.«
Ungefähr an diesem Punkt stehen wir heute: Die Jagd auf Steuerflüchtlinge gehört zu den vorrangigen Zielen der Politik in vielen Nationalstaaten. Die Fußball-WM – obwohl sie offensichtlich Brasilien als Gastgeberland an den Rand der sozialen Explosion treibt, muss durchgepeitscht werden (mehr zu den Profiteuren der WM – hier). Der schwere Unfall, den Rennfahrer und Fußballspieler in Südtirol verursacht haben, weil sie ein kleines Dorf zur exklusiven Rennstrecke erklärt haben, wird – wie bei der Sendung von Günther Jauch in der ARD vorrangig unter dem Aspekt reflektiert, ob das Seelenleben der involvierten Fußball-Millionäre Schaden genommen hat.
Die Revolution hat in Brasilien Feuer gefangen, sagten Aktivisten den Deutschen Wirtschafts Nachrichten (mehr dazu hier).
Wenn Recht und Gesetz nicht bald wieder auch für die politische Elite in der EU und in den europäischen Nationalstaaten Geltung erlangen, wird der Funke überspringen.
Brot und Spiele? Es ist ein Spiel mit dem Feuer.