Während die westlichen Spekulanten rasch ihre Gold-Papiere und Fondsanteile verkaufen, verschluckt China allein inzwischen fast die gesamte jährliche Jahresproduktion an physischem Gold. Wie lang kann das noch gut gehen?
Es geht wieder bergauf: In den vergangenen Wochen hat der Goldpreis wichtige technische Hürden überwunden, und plötzlich trauen sich auch Bankanalysten wieder, positiv über den Preis für das Metall zu schreiben. Am Freitag stand Gold bei rund 1320 Dollar. Die meisten Analysten sehen den Preis weiter steigen – bis 1400 Dollar erreicht sind, dann sollte es wieder bergab gehen. Auch eine Untergrenze gibt es – zumindest theoretisch: Bei 1200 Dollar ist der Goldpreis zuletzt zweimal auf dem Weg nach unten abgeprallt.
Nicht wie andere Rohstoffe
Diese Grenze ist deswegen wichtig, weil bei 1200 Dollar inzwischen die durchschnittlichen Gewinnungskosten einer Unze Gold liegen. Sollte der Preis „für einen längeren Zeitraum“ unter diese Marke sinken, müsste die Produktion gedrosselt werden, warnte zuletzt das World Gold Council, Lobby der Goldminenindustrie.
Die Chancen stehen also gut, dass der Goldpreis in den kommenden Wochen und Monaten im Kanal zwischen 1400 und 1200 Dollar bleibt – aber diese Preisentwicklung ist aus der Vogelperspektive ohnehin eher unbedeutend. Der grundlegende Trend der vergangenen Monate – seit Gold im Jahr 2011 sein Allzeithoch von rund 1900 Dollar erreicht hat – ist von größerer Bedeutung. Denn im vergangenen Jahr spielten sich auf dem Goldmarkt dramatische Szenen ab, wie die Zahlen von WGC und Thompson Reuters GFSM zeigen.
In einem Satz: Die westlichen Spekulanten verkauften– während die (östlichen) Sparer kauften. Die Klammer ist hier deshalb angebracht, weil nicht nur östliche Sparer Gold in physischer Form kaufen – auch in Europa ist die Nachfrage fast auf einem Rekordhoch. Aber die Unterscheidung ist trotzdem wichtig: Denn kein Sparer in Asien würde statt physischem Gold einen ETF (Exchange Traded Fund) oder Goldkontrakte an den Terminbörsen kaufen.
Genau dort wird aber der Goldpreis maßgeblich beeinflusst– konkret an der New Yorker Terminbörse Comex und durch den ETF SPDR Gold Shares GLD. Kein anderer Markt der Welt ist derart zweigeteilt: Denn ein Schokoladeproduzent kauft zwar seine Rohstoffe (wie Kakao oder Zucker) auch auf dem Terminmarkt – um sich einen bestimmten Preis zu sichern. Aber er muss diese Rohstoffe auch physisch entgegennehmen. Sonst kann er ja keine Schokolade produzieren. Beim Gold ist das anders. So werden an den Terminbörsen zwar täglich mehr Unzen Gold gehandelt, als in einem Jahr produziert werden – aber physisches Metall wechselt kaum je den Ort. Deswegen kann man alle Investoren, die auf Kontrakte und ETFs setzen, als Spekulanten bezeichnen – egal, ob sie „long“ oder „short“ gehen, sie wetten nur auf den Preis von Gold. Die wichtigen Versicherungsfunktionen von Gold (konkret das fehlende Gegenparteirisiko und die Absicherung gegen Währungsrisken) kommen ihnen nicht zugute. Das gilt auch für Goldinvestoren, die Anteile an sogenannten physischen ETFs halten: Die Auslieferung ist meist nur für Großkunden möglich, die mehr als eine Million investiert haben.
Comex-Bankrott?
Vor diesem Hintergrund muss man den starken Abverkauf von Kontrakten und ETF-Anteilen im Jahr 2013 als einen Vertrauensverlust in dieses „Papiergold“ sehen. Oder anders: Die Spekulanten geben sich geschlagen. Seit Ende 2012 sind fast 300 Tonnen Gold aus dem GLD-ETF abgeflossen – und die Lagerbestände der Comex sind praktisch implodiert: von mehr als 800 auf zuletzt rund 550Tonnen. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Schmuck, Münzen und Barren aber weltweit auf Rekordniveau gestiegen: um 21 Prozent auf 3860 Tonnen. Und allein China hat mehr als 2000 Tonnen importiert.
Wenn diese Entwicklung so weitergeht, besteht sogar die Gefahr eines Bankrotts der Comex – die ja ultimativ zumindest theoretisch in der Lage sein müsste, das gehandelte Gold auch auszuliefern. Das würde dann den offiziellen Goldpreis zuerst stark fallen lassen – bevor der Handel eingestellt wird. Die Spekulanten würden auch ausbezahlt: Aber in Dollar – und zwar zu einem eher schlechten Kurs. Was dann passiert, ist Entscheidung der Regierungen. Die Geschichte ist jedenfalls voll von überraschenden Gold-Neubewertungen.
Quelle: Die Presse – Print-Ausgabe vom 24.02.2014 (http://diepresse.com)