Die Länder im Osten Europas geraten in den Strudel des Währungsverfalls der Schwellenländern. Die Notenbanken stemmen sich gegen die Krise. Doch in einem Land herrscht bereits Panik.
Bis zu dieser Woche konnten sich Osteuropa dem Ausverkauf entziehen, der die Schwellenländer weltweit erfasst hat. Aber jetzt brechen auch sie ein. Der ungarische Forint verlor am Donnerstag im frühen Handel mehr als ein Prozent gegenüber dem Dollar. Auch der polnische Zloty und die tschechische Krone gerieten ins Taumeln.
Analysten sehen darin ein Zeichen, dass am Markt extreme Risikoscheu herrscht. Wenn Osteuropa weiter Schwäche zeigt, wäre das ein Signal für eine tiefere Vertrauenskrise in die Schwellenländer. Keines der betroffenen Länder in Osteuropa hat vergleichbare Probleme wie die Türkei, die es mit einem massiven Korruptionsskandal und einem hohen Handelsbilanzdefizit zu tun hat, oder Südafrika, das ebenfalls stark von ausländischem Kapital abhängt. Die Zentralbanken beider Länder erhöhten in dieser Woche überraschend die Zinsen, um den Absturz ihrer Währungen zu stoppen.
„Der Markt hat Bammel“, sagt David Hauner, Chefvolkswirt für europäische Schwellenländer bei der Bank of America Merrill Lynch. Es gebe „ein erhöhtes Angstniveau wegen der Kapitalströme“.
Ungarischer Forint stürzt ab
Die größte Panik Osteuropas herrscht in Ungarn. Während sich die türkische Lira am Donnerstag stabil hielt, beschleunigte sich der Verfall des Forint. Der Euro kletterte auf bis zu 312 Forint – das ist der niedrigste Kurs der ungarischen Währung seit zwei Jahren. Später erholte sich der Forint etwas.
Im Gegensatz zur Türkei und Südafrika verzeichnet Ungarn einen Überschuss in der Leistungsbilanz, einer wichtigen Messgröße für das Gleichgewicht von Handel und Investitionen. Daher ist das Land nicht von einem steten Kapitalstrom aus dem Ausland abhängig. Und die Devisenreserven sind üppig. Andererseits hat Ungarn hohe Schulden, die neu finanziert werden müssen. Anleihen in Höhe von 440 Milliarden Forint, etwa 1,4 Milliarden Euro, laufen am 12. Februar aus. Eine weitere große Rückzahlung über rund 1,7 Milliarden Euro ist im August fällig. 2015 kommen weitere dicke Brocken.
Notenbanken in einer Zwangslage
Der Verfall der Währung versetzt die Notenbank in eine Zwangslage. Sie hat den Leitzins seit 18 Monaten regelmäßig gesenkt, auf derzeit 2,85 Prozent. Zentralbankchef György Matolcsy erklärte am Mittwoch, die Bank habe noch Spielraum für weitere Zinssenkungen. Das nächste Treffen der Währungshüter findet am 18.Februar statt.
Ungarn „gehört sicherlich nicht zu der Gruppe um Südafrika, Indonesien und der Türkei, die hohe Bilanzdefizite aufweisen“, sagt Jaco Rouw, Portfoliomanager bei der Vermögensverwaltung der ING. „Die Bewegungen des Forint sind eine Bestätigung für die allgemeine Risikoscheu und nicht für eine rasante Verschlechterung der Lage in Ungarn.
Polen kann mit einer Reihe beruhigender Daten aufwarten: Die Wirtschaft wächst, die Staatsschulden liegen nur bei 58 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Europaweit beträgt die Quote 93 Prozent, in der 28 Länder umfassenden Europäischen Union 87 Prozent.
„Die Turbulenzen unterstreichen, wie wichtig es ist, zwischen den einzelnen Schwellenländern stärker zu unterscheiden“, sagt Neil Shearing, Chefvolkswirt für Emerging Markets bei der Beratungsfirma Capital Economics. „Polen hat viel mehr mit Deutschland gemeinsam als mit Argentinien.“
Dennoch rutschte der polnische Zloty am Donnerstag gegenüber den meisten großen Währungen ab. Im Vergleich zum US-Dollar hat er seit Jahresbeginn 3 Prozent an Wert eingebüßt, das ist nicht viel weniger als das fünfprozentige Minus der türkischen Lira.
Polen könnte mit hineingezogen werden
Die Gefahr sei, dass Polen in das Chaos hineingezogen werde, das die wackeligeren Schwellenländer erfasst habe, sagt Shearing. „Wenn es richtig schlimm kommt, könnte die Zentralbank gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen, was das Wachstum hemmen würde“, fürchtet er.
Die polnische Zentralbank tagt am kommenden Mittwoch. Bisher wird erwartet, dass sie ihre Leitzinsen bei 2,5 Prozent belässt – einem Niveau, das deutlich über dem EZB-Leitzins von 0,25 Prozent und den 0,05 Prozent im Nachbarland Tschechien liegt.
Polens Finanzminister erklärte am Donnerstag, dass ihm der anhaltende Ausverkauf der Schwellenländerwährungen „keinen Schlaf raubt“. Mateusz Szczurek sagte, er sei zuversichtlich, dass Polen von den Unruhen am Markt nicht getroffen werde. Gleichzeitig kündigte er aber an, dass Polen eine flexible Kreditlinie des Internationalen Währungsfonds um zwei Jahre verlängern wolle. Warschau verfügt beim IWF derzeit über eine Kreditlinie über 34 Milliarden Dollar, die es bisher nicht angetastet hat.
Der diesjährige Kursrutsch bei anfälligen Währungen gründet sich auf eine Reihe von Sorgen, die vor allem Ländern gelten, die stark von regelmäßigen Kapitalzuflüssen aus dem Ausland abhängen. Sie dürften es im Zuge der sanften geldpolitischen Straffung in den USA schwerer haben, Geld anzuziehen.
Auch Länder mit mickrigen Währungsreserven, die im Kampf gegen einen Ausverkauf hilfreich sind, mussten zusehen, wie ihre Devisen abrutschen. In Ländern wie Argentinien oder der Ukraine haben akute politische Probleme den Abwärtsdruck noch verschärft.
Investoren werden nervös
Die Übertragung der Unruhen auf die Länder Osteuropas erfolgt über zwei Kanäle, die sich gegenseitig verstärken: Händler und Anleger ziehen sich entweder aus liquiden Währungen zurück, um Verluste an anderer Stelle auszugleichen. Oder sie werden schlicht nervös, weil sie nicht überschauen können, ob und wie schnell sich die Probleme lawinenartig ausbreiten.
„Ich denke nicht, dass die aktuellen Währungsverkäufe berechtigt sind, aber viele Leute wollen im Moment überhaupt nicht in Schwellenländern engagiert sein“, sagt Yannick Naud, der für Sturgeon Capital Anlagen im Wert von 270 Millionen Dollar verwaltet. „Wir haben ein paar Bestände in Ungarn und haben zuletzt versucht, diese zu erhöhen. Jede weitere Schwäche in Mittel- und Osteuropa sollte eine Chance darstellen, dort einzusteigen“, fügt er hinzu.