Investment-Profi Max Otte nahm und nimmt kein Blatt vor den Mund. Im FOCUS-MONEY-Interview rechnet er mit der Politik ab, nennt die größten Euro-Risiken – und erklärt wichtige Regeln für Anleger.
FOCUS-MONEY: Herr Otte, seitdem Sie 2006 treffsicher die Finanzkrise der Jahre 2007/2008 voraussagten, verliehen Ihnen die Medien den Titel „Crash-Professor“. Mögen Sie den Titel?
Max Otte: Ich habe das mit dem Timing damals relativ gut hinbekommen. So richtig mag ich den Titel dennoch nicht. Aber was soll man gegen die Medien machen? 2009 habe ich schon frühzeitig zum Vollgas bei Aktien geraten und galt dann als „Aktienprofessor“, was mir schon lieber ist.
MONEY: Wie werden Sie lieber gesehen?
Otte: Ich sehe mich eher als Beobachter der Welt, ein distanzierter, mit einer gesunden Skepsis, und interessiere mich für menschengemachte Desaster. So ein Crash ist ein rein menschlich verursachtes Phänomen, das nichts mit Naturwissenschaft oder Naturgesetzen zu tun hat, sondern von den Menschen verursacht wird. Mich interessiert sehr, wie Menschen in selbst gemachte Krisen geraten. In dem Bereich forsche ich gern. Ich teile nicht den Optimismus oder die ideologische Verblendung von Ökonomen, dass der Markt schon alles richtet. Die Menschen sind in der Lage, ziemlich dumme Dinge zu tun.
MONEY: Wenn nun in den USA die Schuldenobergrenze angehoben wird, welche Folgen hat dies genau für Zinsen, Anleihenkurse und Aktien?
Otte: Zunächst einmal gibt es business as usual. Aber wir sind ja schon in Teilen in einer Planwirtschaft. Die Märkte mit Liquidität zu fluten funktioniert ja allein schon nicht mehr. Es müssen von den Notenbanken Schrottpapiere gekauft werden. Das ist schon fast Staatssozialismus. Aber dennoch ist klar, dass die Zinsen zukünftig steigen müssen. Die Frage ist, wann und wie schnell.
MONEY: Würden Sie dem deutschen Anleger angesichts steigender US-Zinsen heute noch zum Kauf von US- Aktien raten?
Otte: Ich rate viel eher zum Kauf europäischer Aktien. Und zwar aus einem einfachen Grund. Der amerikanische Markt ist einfach teurer als der europäische. Er ist etwa 20 Prozent überbewertet. Das ist nicht viel. Aber Europa ist unterbewertet, der Dax bestenfalls fair. Natürlich können Anleger Aktien wie Coca-Cola ewig im Depot behalten. Coca-Cola schüttet Dividenden aus, die Aktie ist krisensicher und schwankt. Aber ich rate keinem, derzeit massiv in den US-Markt einzusteigen, da gibt es Besseres.
MONEY: Ist es eigentlich aus Sicht eines Wissenschaftlers so einfach, alle wirtschaftlichen Probleme wie in den USA oder Japan mit einer ständigen Flut neuen Geldes zu lösen?
Otte: Ich kenne Ben Bernanke sehr gut, war auf einigen seiner Grillpartys. Für die Makroökonomen wie Bernanke ist das so einfach. Sie leben in ihren volkswirtschaftlichen Modellen, Graphen und Gleichungen und verwechseln diese Gleichungen mit der Realität. Das ist, überspitzt gesagt, schon fast ein planwirtschaflichsozialistischer Ansatz. Aber die Wirtschaft wird vom Menschen gemacht. Der kann sich 20 Jahre nach dem Modell verhalten und reagiert dann mit einem Mal ganz anders als in den Modellen vorhergesehen. Wir manipulieren also die Märkte auf Teufel komm raus. Das hat bis jetzt funktioniert, auf Dauer geht es schief…