Neue Kritik an Lebensversicherern: Nachdem viele Lebensversicherer bei Vertragsabschluss ihren Kunden eine fehlerhafte Widerspruchsinformation ausgehändigt haben, können die Verbraucher ihren Vertrag nun vollständig rückabwickeln lassen. Die Versicherer versuchen dies zu verhindern, indem sie nachträglich korrekte Widerrufsinformationen verschicken. Dann bleibt den Kunden nur eine Frist von 14 Tagen, um den Vertrag zu widerrufen.
Mehrere Lebensversicherer setzen ihren Kunden offenbar die Pistole auf die Brust, um zu verhindern, dass sie ihre Verträge rückabwickeln lassen. Dabei geht es um Verträge, die zwischen 1994 und 2007 nach dem sogenannten Policenmodell abgeschlossen wurden. Der Bundesgerichtshof hatte Verbrauchern eine Art „ewiges Widerspruchsrecht“ eingeräumt, wenn bei Vertragsabschluss keine korrekte Widerrufsbelehrung erfolgte. Nun verschicken die Lebensversicherer nachträglich korrekte Widerrufsbelehrungen – und wollen so einem Widerspruch der Sparer zuvorkommen.
Rückabwicklung hat für Kunden Vorteile
gegenüber einer einfachen Vertragskündigung
Abschluss nach dem Policenmodell heißt stark vereinfacht, die Kunden erhielten sämtliche Vertrags-Unterlagen erst mit dem Versicherungsschein zugesendet. Zwar konnten die Verbraucher innerhalb einer bestimmten Frist den Vertrag widerrufen – aber ihre Rechte und Pflichten erfuhren sie erst, nachdem sie den Vertrag bereits unterzeichnet hatten. Millionen Lebensversicherungen fanden auf diesem Weg zu ihren Kunden.
So geht es nicht, befand auch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, und hat im Jahr 2008 allen Versicherern den Vertrieb nach dem Policenmodell untersagt. Das Policenmodell sei nicht mit den europäischen Richtlinien für Verbraucherschutz vereinbar.
Doch damit nicht genug. Aufgrund der fragwürdigen Vertriebspraxis räumte der Bundesgerichtshof den Kunden auch eine Art ewiges Widerrufsrecht ein. Wenn ein Verbraucher bei Abschluss seines LV-Vertrages gar nicht oder nur unzureichend über sein Widerspruchsrecht aufgeklärt wurde, können die Kunden ihrem Vertrag auch heute noch widersprechen – selbst dann, wenn sie ihn zuvor schon gekündigt hatten. Nach Erhebungen der Verbraucherzentrale können nun 60 Prozent der damaligen Kunden eine Rückabwicklung verlangen.
Der Vorteil aus Sicht des Kunden: Ein nachträglicher Widerspruch kann ihm Vergleich zu einer „einfachen“ Kündigung erhebliche Nachzahlungen bringen. Das hatte der Bundesgerichtshof 2014 entschieden und 2015 präzisiert (Az. 1 BvR 1674/14). Denn bei einer Rückabwicklung bekommen die Verbraucher ihre eingezahlten Beiträge verzinst wieder zurück, was bei einer vorzeitigen Kündigung der Lebensversicherung nicht der Fall ist. Auch Kosten für Vertrieb und Verwaltung dürfen die Versicherer in diesem Fall nicht abziehen. Die Verbraucher können auf weit mehr Geld hoffen.
Lebensversicherer verschicken verbesserte Nachbelehrungen
Doch einige Lebensversicherer versuchen, diesen Rückabwicklungen zuvorzukommen. Indem sie nun nachträglich neue und diesmal korrekte Widerrufsbelehrungen verschicken, wie „Wallstreet Online“ berichtet. Dabei handelt es sich um sogenannte Nachbelehrungen.
Hat ein Verbraucher eine solche Nachricht erhalten, tickt für ihn die Uhr. Ganze vierzehn Tage habe er nun Zeit, seinen Versicherungsvertrag zu prüfen und zu widerrufen, falls eine Rückabwicklung für ihn sinnvoll sein könnte. Vor allem die Nürnberger Versicherung habe in den letzten Wochen unzählige dieser Nachbelehrungen verschickt.
Für Verbraucher ist das Versenden der Nachbelehrungen bitter. Ganze 14 Tage haben sie nun Zeit, um den Versicherungsvertrag noch zu widerrufen – danach gehe nichts mehr. Der Versicherer könne sich nun darauf berufen, dass er seinen Kunden ja nachträglich korrekt belehrt habe und die Widerspruchsfrist habe versäumen lassen, berichtet Wallstreet Online.
Rückabwicklung lohnt nicht immer
Bitter ist die kurze Frist für den Widerspruch auch deshalb, weil eine Rückabwicklung der Lebensversicherung nicht in jedem Fall lohnt. Dies muss zuvor geklärt und durchgerechnet werden. „Als Faustregel gilt: Je älter der Vertrag, desto unwirtschaftlicher der Widerspruch“, berichtet die Kölner Anwaltskanzlei Kraus Ghendler Ruvinskij, spezialisiert auf Verbraucherrecht, auf ihrer Webseite. Ältere Verträge aus den 90er Jahren hingegen seien nicht nur steuerfrei bei Auszahlung, sondern hätten sich häufig trotz der Belastung mit den Vermittlungskosten über die Zeit ordentlich entwickelt – auch, weil sie oft höhere Zinsen garantieren.
Quelle: Wallstreet Online