Der deutsche demokratische Versuch hat ein Richtungsproblem. Er funktioniert in der falschen Richtung. Nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten. Politiker dirigieren Bürger und nicht etwa umgekehrt. Die politische Obrigkeit, also die Politiker, die sich dafür halten, machen für sich einen Alleinvertretungsanspruch geltend: Sie wissen, was für die Bürger gut ist. Sie fördern bestimmte Verhaltensweisen in Bürgern. Sie wollen Bürger zu staatsdienlichen und vor allem gehorsamen und unauffälligen Bürgern erziehen.
Wenn diese Erziehung versagt und der besagte Bürger sich als die ihm zugestandene Mündigkeit missbrauchender Bürger herausstellt, der Parteien wählt, die populistisch oder gar extremistisch sind, der gegen Planungsvorhaben demonstriert oder der gar der Meinung ist, er könne sagen, denken und tun, was er wolle, so lange er die Verantwortung für das, was er sagt, denkt oder tut, übernimmt, dann tritt der staatliche Krisenmodus in Kraft, dann werden staatliche Programme ausgelobt, die z.B. „Demokratie leben!“ sollen und deren Zweck einzig und allein darin besteht, die Bürger zu erziehen, und zwar zu dem Ideal, das denen, die gut, sehr gut vom derzeitigen Staat leben, vorschwebt.
Kurz: Deutschland ist eine Erziehungsdiktatur, in der nur geduldet wird, wer den staatstragenden Kanon auswendig und ohne darüber nachzudenken, aufsagen kann.
Und je mehr politische Parteien an Einfluss verlieren, je mehr ihnen die Mitglieder und Wähler davonlaufen und je mehr sie in ihrem Mitwirken bei der Meinungsbildung des Volkes an den Rand geraten, weil die Mehrheit im Volk nur zu gerne auf jede Form parteipolitischer Meinungsvorgabe verzichtet, desto wichtiger werden die Einflussnahmen der politischen Erziehungsdiktatoren an anderer Stelle, z.B. über die Curricula von Schulen, die immer weniger Wissen und immer mehr Ideologie vermitteln. Das ist ein Grund dafür, dass Schüler in der Regel aufsagen können, dass die AfD eine rechtspopulistische Partei ist, aber keine Ahnung haben, was Rechtspopulismus eigentlich ist oder wie man den Satz des Pythagoras ausspricht [Bevor hier Kommentare kommen, das war ein Witz!].
Nicht nur in Schulen werden Schüler mit staatlicher Richtig-Erziehung gegängelt, die Programme der Kinder- und Jugendhilfe, die Maßnahmen der ideologischen Anhängsel von Ministerien, die sich darauf richten, Kinder- und Jugendliche z.B. vom rechtspopulistischen Weg abzubringen und in den Hafen der einzig tolerierten Form von angeblicher Demokratie zu schippern, sie sind Legion. Und selbstverständlich sollen die Kinder- und Jugendlichen, die gezielt auf nur eine einzige Version zu denken getrimmt werden, kreativ, eigenständig und autonom denken, innerhalb der vorgegebenen Richtigkeitsbahnen versteht sich.
Kinder und Jugendliche sind längst nicht die einzigen, die der staatlichen Erziehungsdiktatur ausgesetzt sind. Von der Wiege bis zur Bahre, wie Heinz Marr einst formuliert hat, verfolgt der Staat seine Bürger. Der Kinder- und Jugendindoktrination folgt, was euphemistisch Erwachsenenbildung genannt wird, Erwachsenbildung mit einem kleinen Twist, einem Anreiz, sich auch richtig zu bilden, eigentlich ist das kein Anreiz, sondern eine Drohung: Wer nicht regelmäßig seine Zähne beschauen lässt, erhält nichts von der Krankenkasse. Wer raucht wird geächtet und wenn er in die Nähe von Kindern kommt, kriminalisiert. Bekommt der Raucher Krebs ist ihm die Häme und der Ärger all derer, die finden, er könne seine Krankenkosten ruhig selbst bezahlen, ungeachtet der Tatsache, dass er seit Jahren gezwungen ist, seine Beiträge in die Gesetzliche Krankenkasse abzuführen, sicher. Und wehe dem, der zu fett und so verwegen ist, Beamter werden zu wollen. Deutsche Beamte haben nur Idealmaße und deshalb ist ein rigides Abnehmprogramm die Voraussetzung für den Fetten, damit er sich Beamter nennen darf.
Am besten ist es jedoch, Erwachsene verhalten sich selbst erst gar nicht falsch. Deshalb setzen die Vertreter der Erziehungsdiktatur auf Nudgen oder Schubsen: Damit sollen Bürger, die selbst nicht wissen, was gut für sie ist, ordentliche Subjekte des Staates werden, deren Haltbarkeitsdatum nicht vor Erreichen des 67 Lebensjahres überschritten ist, so dass sie dem Staat, der sie dann ab Rente in Ruhe oder im Stich lässt, wie auch immer, möglichst lange das Geld abliefern können, das sie eigentlich für ein sorgloses Dasein im Alter benötigen würden.
Neben der Erwachsenenbildung, die der Erziehung schwererziehbarer Bürger dient, gibt es noch die Bürgerbeteiligung, die dazu dient, Bürger in den Glauben zu versetzen, es interessiere irgend jemanden, was sie zu bestimmten Dingen für eine Meinung haben. Bürgerbeteiligung dient einzig dazu, Bürgern deutlich zu machen, dass sie das, wogegen sie sind oder wogegen sie Vorbehalte haben, z.B. das Windkraftrad um die Ecke oder den formschönen und den Tourismus fördernden Windkraftpark auf dem am besten sichtbaren Berg, eigentlich mögen. Entsprechend werden die Vorbehaltler oder Gegner einer Bürgerbeteiligung unterzogen. In entsprechenden Versammlungen dürfen sie sich so lange totlaufen oder gegen eine Wand aus vorgefertigten Abwehrfloskeln anrennen, bis sie die Lust verlieren oder einsehen, dass Windkraft auch für sie das Beste ist.
Jenseits des Haltbarkeitsdatums von 67 Jahren, jenseits des erwerbsfähigen Lebens verliert ein Bürger seinen Wert für seinen Staat. Entsprechend gibt es keinerlei Erziehungsprogramm für Alte. Alte werden entweder Sozialarbeitern oder Pflegekräften überantwortet oder als Hedonisten gebrandmarkt, und zwar dann, wenn sie sich lieber auf Mallorca der eigenen Gesundheit als in Deutschland den vom Staat gewünschten, bestellten und finanzierten Enkeln oder Urenkeln widmen. Wer nicht einmal mehr dazu taugt, sich um Nachwuchs zu kümmern, den erwartet im Dreibettzimmer des Pflegeheims ein Bett, an das fixiert er darauf warten darf, die beste aller deutschen Republiken zu verlassen, und wenn er Glück hat, dann hilft ihm die Demenz dabei, zu ertragen, was sein Staat sich als Lebensabend für ihn ausgedacht hat…