Die Eurozone hat aus der Schuldenkrise nichts gelernt. Die Defizitsünder Portugal und Spanien kommen ungeschoren davon. Nur die EZB verhindert noch, dass es zu Staatspleiten kommt. Der Preis sind neue Blasen auf dem Finanzmarkt.
Die Europäische Kommission hat den Euro-Finanzministern empfohlen, für Spanien und Portugal die Strafen für überhöhte Haushaltsdefizite zu streichen. Sie begründet ihre Entscheidung mit den großen wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen beide Länder angesichts anhaltend hoher Arbeitslosigkeit stehen. Zudem hätten Spanien und Portugal in den vergangenen Jahren ihre Reformbereitschaft unter Beweis gestellt. Auch der deutsche Finanzminister Schäuble soll sich für Straffreiheit eingesetzt haben.
Die Glaubwürdigkeit ist erschüttert
Die Entscheidung folgt der Aussage des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, dass das Defizitverfahren für Frankreich keine Anwendung finden würde, “weil es Frankreich ist“. Damit dürften die Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes als Instrument der Schuldenkontrolle ebenso wie die Glaubwürdigkeit der Europäischen Kommission als Hüterin des Paktes endgültig der Vergangenheit angehören. Die Entscheidung, die sehr wahrscheinlich von den Euro-Finanzministern abgesegnet wird, ist aus zwei Gründen konsequent.
Erstens hat die Schuldenkontrolle in der Währungsunion ohnehin nie richtig funktioniert. In 14 von derzeit 19 Euroländern (einschließlich Deutschland) liegt der öffentliche Schuldenstand über dem Maastricht-Limit von 60 Prozent. Für die gesamte Währungsunion mit derzeit 92 Prozent weit über dem Limit!
Die Schuldenkontrolle ist außer Kontrolle
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte übermäßige Verschuldung in der Europäischen Währungsunion vermeiden, damit einzelne Länder nicht für die Schulden anderer Länder haften. Dieses Prinzip wurde im Verlauf der europäischen Finanz- und Schuldenkrise durch eine Vielzahl von Rettungsmechanismen um den Europäischen Stabilitätsmechanismus umlaufen. Der Art. 125 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union (Nichtbeistands-Klausel) wurde de facto außer Kraft gesetzt. Die Schuldenkontrolle ist außer Kontrolle.
Zweitens ist die Staatsfinanzierung durch die Zentralbank, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt verhindern sollte, längst Realität. Der Umfang des Aufkaufprogramms für öffentliche Anleihen (und andere Wertpapiere) in Höhe von 1740 Milliarden Euro bis März 2017 sowie der undurchsichtigen Rettungsmechanismen wie ELA, ANFA oder TARGET ist riesig. Die Europäische Zentralbank drückt so die Zinsen auf Staatsanleihen von Krisen- und Nicht-Krisen-Staaten auf ein Minimum, teilweise sogar ins Negative. Ohne die ultralockere Geldpolitik wären längst viele Mitgliedstaaten, insbesondere im Süden der Währungsunion, zahlungsunfähig.
Nur die EZB verhindert noch einen Crash
Die Europäische Zentralbank und nationale Zentralbanken müssen inzwischen immense Summen mobilisieren, um auf die kurze Frist den großen Krach in der Währungsunion abzuwenden. Das mag ein Verdienst sein. Doch der Preis ist hoch. Die bereits deutlich sichtbaren einschneidenden Nebeneffekte der ultralockeren Geldpolitik werden sich weiter verschärfen: neue Immobilien- und Finanzmarktblasen und -krisen, noch mehr überbordende teure Regulierung in Reaktion auf platzende Blasen sowie immer noch weniger Wachstum aufgrund der Zementierung überkommener Strukturen durch billiges Geld!
Die größte Herausforderung erwächst jedoch aus der wachsenden Einkommens- und Vermögensungleichheit, die die ultralockere Geldpolitik nach sich zieht. Sie bildet zusammen mit schwachem Wachstum den Nährboden für eine weiter voranschreitende politische Polarisierung in Europa, die die größte Gefahr für den europäischen Integrationsprozess ist.