FAZ.net vom 30.08.2013: Der Geschichte des Wahlversprechens kann man auch durchaus heitere Seiten abgewinnen. Besonders findige Geister bedenken schon vor Abgabe eines Wahlversprechens mögliche Gründe, warum sie es später nicht halten werden können.
Das politisch teuerste Wahlversprechen der Zeitgeschichte der Bundesrepublik Deutschland hatte die FDP gemacht – im Bundestagswahlkampf 1961. Der treue Partner der CDU versprach, nach der Wahl werde Konrad Adenauer, sofern die FDP an der Regierung beteiligt sei, nicht mehr Bundeskanzler sein. Zwar gab es damals auch in der Union einige und – was Wunder – jüngere CDU-Politiker, die den „Alten aus Rhöndorf“ loswerden wollten. Doch Adenauer blieb zwei weitere Jahre Bundeskanzler, und weil er auch von den FDP-Bundestagsabgeordneten gewählt worden war, hing die FDP über Jahrzehnte der Ruf der „Umfallerpartei“ an. Von der SPD war das Wort erfunden worden. Als dann die SPD mit der FDP eine Koalition bildete, verwandten auch Unionspolitiker den Begriff überaus gern. Als die FDP Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt hatte, waren es wieder die Sozialdemokraten, die das Wort im Mund führten. Noch Hans-Dietrich Genscher hatte sich des Vorwurfs des „Umfallens“ zu erwehren.
Auch ein anderer Begriff politischer Auseinandersetzungen geht auf ein gebrochenes Wahlversprechen zurück: „Rentenlüge“. Im Bundestagswahlkampf 1976 versprach – unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem Parteivorsitzenden Willy Brandt – die SPD, gleich nach der Wahl werde es eine Rentenerhöhung geben. Nach der nur knapp gewonnenen Bundestagswahl begannen die Partner in der sozialliberalen Koalition neu zu rechnen. Geld schien zu fehlen. Die Rentenerhöhung sollte verschoben werden. Ein öffentlicher Aufstand wurde mit dem Vorwurf „Rentenlüge“ befeuert. Zwar beugten sich SPD und FDP dem öffentlichen Druck. Doch das Wort von der „Rentenlüge“ blieb. Der damalige SPD-Arbeitsminister Walter Arendt trat zurück.
Versprechen unterliegen „Rebus sic stantibus“-Grundsatz
Wahlforscher und Politikberater können sich mittlerweile zynisch äußern. „Wahlversprechen“ von Parteien, Kanzlern und Kandidaten seien gar keine Versprechen im Sinne zivilrechtlicher Vereinbarungen. Sie dienten vor allem der Mobilisierung der Mitglieder und Anhänger, seien also Instrumente des Wahlkampfes, wie es deren viele gibt. Bestenfalls enthalten sie, lautet eine Schlussfolgerung, die Zusage, sich – nach der Wahl – für ein Anliegen einzusetzen. Nicht nur, dass sämtliche Zusagen in der Politik dem „Rebus sic stantibus“-Grundsatz unterliegen: Wenn sich die Bedingungen ändern, gelten die gemachten Zusagen nicht mehr. Nach und wegen der Nuklearkatastrophe von Fukushima änderte unter Führung Angela Merkels die Union den Kurs ihrer Kernenergiepolitik. Es schadete ihr nicht. Umgekehrt hatte die schwarz-gelbe Koalition auch zu lernen, dass längst nicht jedes eingehaltene Versprechen dem Ansehen nutzt. Für die steuerliche Besserung des Hotelgewerbes („Mövenpick-Steuer“) wollten CDU und FDP hernach nicht mehr verantwortlich sein.
Vor allem aber müssen die parlamentarischen Umstände stimmen. Union und FDP sind auch nach einem Erfolg bei der Bundestagswahl – und zwar unabhängig vom Ausgang der Landtagswahlen in Bayern und Hessen – weit von einer Mehrheit im Bundesrat entfernt. Diese wird weiterhin von SPD und Grünen – wegen der rot-roten Landesregierung in Brandenburg bei Mithilfe der Linkspartei – gestellt. Auf Steuersenkungsversprechen haben die schwarz-gelben Koalitionspartner deshalb zu verzichten. Vor allem die FDP hatte in der vergangenen Legislaturperiode wegen ihrer Steuersenkungsversprechen zu leiden. Solange Union und FDP noch die Mehrheit im Bundesrat hatten, bremste Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Nachdem SPD und Grüne die Mehrheit im Bundesrat geholt hatten, brauchte er nicht mehr einmal zu bremsen. Unionspolitiker sprachen nun von rot-grüner Blockade, was der FDP auch nicht viel half. Nun hat sie ihre Lektion gelernt. Ihre Wünsche nach Steuersenkungen kündigte sie nicht mehr als Versprechen und auch nicht als Bedingung für eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition an. „Dafür wollen wir arbeiten“ ist der entsprechende Passus im Wahlprogramm überschrieben. Selbst die Abschaffung des „Solidaritätszuschlags“, welche eine schwarz-gelbe Koalition auch ohne die Zustimmung des Bundesrates durchsetzen könnte, ist unter dieser einschränkenden Formel zu finden. Die FDP weiß: Schäuble und Angela Merkel wollen den „Soli“ als Einnahmequelle des Staates erhalten. Die FDP will nicht abermals als Umfallerpartei dastehen.
Auch Steinbrück kann seine Versprechen nicht einlösen
„Mit mir als Bundeskanzler wird die Regierung ein Gesetz für einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro vorlegen“, hat nun Peer Steinbrück, der SPD-Kanzlerkandidat, als Teil eines Programms mit dem Titel „Gestalten statt Aussitzen – Vorrang in den ersten 100 Tagen einer SPD-geführten Bundesregierung“ ausgeführt, das er am Donnerstag vorstellte. Auch die Ankündigungen, das „rückwärtsgewandte Betreuungsgeld“ abzuschaffen, die „doppelte Staatsbürgerschaft“ einzuführen und den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent zu erhöhen, sind in diesem „100-Tage-Programm“ enthalten. Der Wähler müsse wissen, woran er sei, sagte Steinbrück. Alles, was in dem Programm stehe, solle in den ersten 100 Tagen seiner Kanzlerschaft „angepackt“ und auch „finalisiert“ – also von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden.
Zwar werden die Vorhaben, die der SPD-Kanzlerkandidat – nicht zum ersten Male – vortrug, im Grundsatz auch vom von der SPD gewünschten Koalitionspartner, den Grünen, unterstützt. Doch schilderte er auch den Umstand, Verhandlungen mit den Grünen, Koalitionsverhandlungen gar, habe es – natürlich – nicht gegeben. „Vorauseilende Koalitionsverhandlungen“, Verhandlungen also „vor dem Wahltag“ gebe es nicht. Er stelle die Prioritäten der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ vor. Er lege dar, was er „als Kanzler realisieren möchte“. Hinweise, er könne doch nicht etwas versprechen, worüber er – da die SPD bei der Bundestagswahl am 22. September doch keine absolute Mehrheit erhalten werde – mit dem Koalitionspartner noch nicht gesprochen habe, tat er der Sache nach als weltfremd ab. Es sei doch klar: „Ich rede hier für die SPD.“ Steinbrück umschrieb damit die Umstände der Politik: Ankündigungen in Wahlprogrammen können erst später zur Realität werden – nach Koalitionsverhandlungen und auch nach den parlamentarischen Beratungen. Gesetze werden nun einmal nicht erlassen.
Gleichwohl haben CDU und CSU ein klassisches Wahlgeschenk in Aussicht gestellt: „Ab 2014 wollen wir für alle Mütter oder Väter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, die Erziehungsleistung mit einem zusätzlichen Rentenpunkt in der Altersversicherung berücksichtigen.“ Zwar wurde das Versprechen „Mütterrente“ im Wahlprogramm der Unions-Parteien nicht, wie das bei Vorhaben wie der „Frauen-Quote in Aufsichtsräten“ der Fall ist, mit einem „wir werden“, sondern bloß mit „wir wollen“ angekündigt. Doch versicherten Angela Merkel in einer Fülle von Erklärungen, das „wir wollen“ sei als „wir werden“ zu verstehen. Auch unterliege dieses Versprechen nicht – wie alle anderen finanzwirksamen Aussagen im Wahlprogramm – einem Finanzierungsvorbehalt. Es werde nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern aus der Rentenkasse finanziert. Steinbrück, der Wahlkämpfer, wollte es nicht glauben. „Frau Merkel“, rief er, hätte ein solches Gesetz schon längst vorlegen können – und die SPD hätte dem womöglich zugestimmt. Für die Zukunft schränkte er das wegen der Kosten ein: „Ich werde nichts versprechen, was ich nicht halten kann.“
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/wahlversprechen-da-haben-wir-uns-wohl-versprochen-12552254.html